Krieg den Sternen, Friede den Menschen
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI
14/08/20 Mit dem Hochfest der Erscheinung Riccardo Mutis Mitte August in Salzburg nimmt das modifizierte Festspielprogramm kräftig Fahrt auf in Richtung eines beinah „normal“ dicht gedrängten Konzertwochenendes. Gleich dreimal dirigiert Riccardo Muti im Großen Festspielhaus die Wiener Philharmoniker, während Andris Nelsons, Christian Thielemann und Gustavo Dudamel nur zweimal „dürfen“.
Von Heidemarie Klabacher
Der Jubel war erwartungsgemäß turbulent, nach einer im Grundton erstaunlich sanft und versöhnlich anmutenden Wiedergabe von Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125. Natürlich lässt Maestro Muti keinen Aufruhr unausgekostet. Schwelgt – und lässt schwelgen – in Gewitterstürmen, Murenabgängen und sonstigen Katastrophen, aus denen immer wieder unvermutet Passagen heraus blühen, die kein Wässerchen trüben können. Die Neunte ist so ein Ur-Ereignis, bei dem, wenn losgetreten, der Mensch nicht mehr viel mitzureden hat. Der Mensch nicht, Muti schon. Immer wieder gebietet er Stille, gibt etwa ein paar Takte lang einem überirdischem Horn-Solo Raum - und lässt alsbald die trügerische Ruhe sich in neue Bedrohung wandeln: Das war enorm spannend, vielgestaltig und eben sehr differenziert in der Lautstärke.
Der Hexenreigen im zweiten Satz, immer wieder interpunktiert, aber nie irritiert von der Pauke, war ein besonders mitreißender Feger inmitten einer besonders akribischen Lautstärken-Dramaturgie. Die ins Richtung pianissimo verblühenden Modulationen, jede ein Schritt Richtung Hoffnung, wurden so delikat gestaltet, wie sie brutal wieder hinweg gefegt wurden.
Der heimliche Höhepunkt der Neunten ist das Adagio, das von Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern – allen voran den Holzbläsern und dem Solohornisten – als Manifest von der Möglichkeit des Friedens zelebriert wurde. Auch hier gibt es modulierende Störversuche, die aber wohl beunruhigen, sich aber nicht durchsetzen können. Der ohnehin routinemäßig zu rühmende Sound der Wiener Philharmonischen Geigen klang an diesem Vormittag, als wäre „die Geige“ eigens für die schlichten Figuren im Adagio der Neunten Beethoven entwickelt worden. Also zum Niederknien.
Mit größter innerer Spannung und unzähligen Klangfacetten gestalteten haben Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker die mehrmals vereitelten Versuche des Final-Themas von der Freude sich gegen Großmannssucht und Gewalt durchzusetzen. Suspense am Rande eines Kriegsschauplatzes. Erstaunlich wenig differenziert und hart im Klang wirkte dann der Vokalteil. Das handverlesene Solistenquartett mit Asmik Grigorian Sopran, Marianne Crebassa Alt, Saimir Pirgu Tenor und Gerald Finley Bass sang laut. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Ernst Raffelsberger, hätte das auch subtiler drauf. Die Götterfunken „überm Sternenzelt“ wirkten eher wie Meteor-Splitter. „Freudig wie ein Held zum Siegen“ hätten in dieser brutalisierenden Lesart auch ein paar Klonkrieger aufmarschieren können. Dieses ein wenig lautstarke Finale schmälerte dennoch nicht die früheren, so bewegenden Eindrücke.