Aus Piroska wurde Rosette
VERTRIEBENE JÜDISCHE FESTSPIEL-KÜNSTLER (3) / ROSETTE ANDAY
13/08/20 Gleich im Sommer nach ihrem ersten Jahr als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper debütierte Rosette Anday als Dorabella (Cosi fan tutte) bei den Festspielen. Das war 1922. Die in Budapest geborene Mezzosopranistin war 23 Jahre alt.
Von Gert Kerschbaumer
Im September 1921 haben Franz Schalk und Richard Strauss die Sängerin an die Staatsoper geholt. Rosette Anday war ihr Künstlername, eigentlich hieß sie Piroska Andauer. In Budapest hatte sie Violine und Gesang studiert. Als fiktives Geburtsjahr gab sie später 1903 an.
Als im August 1922 eine Sängerin in Mozarts Le nozze di Figaro indisponiert war, konnte das Festspielpublikum Rosette Anday in der Hosenrolle Cherubino bewundern. In den Sommern 1925 und 1928 hatte sie wiederum Auftritte als Cherubino und Dorabella in diesen Mozart-Opern, die seit dem Direktorat Gustav Mahlers zum Repertoire der Wiener Staatsoper gehören.
1926 stand erstmals eine Wiener Operette unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter auf dem Salzburger Spielplan: Die Fledermaus von Johann Strauß. Rosette Anday gab den Prinzen Orlofsky, wurde allerdings von der Schlagersängerin Fritzi Massary, die als Adele auftrat, an Glamour weit übertroffen. Berichtet wird, dass diese Salzburger Fledermaus glänzende Einnahmen brachte, aber kein internationales Publikum anlocken konnte, bloß ein österreichisches und „Salzkammergut-Habitués“ im Speziellen, womit vermutlich Wiener Sommerfrischler gemeint sind.
Bruno Walter war übrigens der einzige Dirigent in den Festspielsommern, der Werke von Gustav Mahler, den aufzuführen unter der NS-Herrschaft verbotenen war, dirigierte. Darunter 1928 das Lied von der Erde, eben mit Rosette Anday als Solistin.
Es drängt mich, Ihnen, sehr verehrte Frau Kammersängerin, für den durch Ihren Entschluss den Salzburger Festspielen, dem Lande Salzburg und der österreichischen Kunst geleisteten Dienste auch im Namen des Landes Salzburg auf das herzlichste zu danken. In dem Dankschreiben des damaligen Salzburger Landeshauptmannes Franz Rehrl fehlt ein hiweis auf die politischen Hintergründe: 1933 war ein politisch turbulentes Jahr. Die Festspielstadt Salzburg lag an der Grenze zum nationalsozialistischen Deutschland, das über Österreich die „Tausend-Mark-Sperre“ verhängt hatte, um die Salzburger Festspiele – in den Vorjahren noch zu rund fünfzig Prozent von deutschen Gästen frequentiert – in den Ruin zu treiben. Gleiches bezweckten die Absagen von Künstlerinnen und Künstlern, darunter Sigrid Onégin, knapp vor der Eröffnung der Salzburger Festspiele 1933.
Anstelle der prominenten Sängerin Sigrid Onégin, die eine der begehrtesten Altstimmen besaß, jedoch im Jahr 1933 den Bayreuther Festspielen – Thomas Mann sprach von „Hitlers Hoftheater“ – den Vorzug gab, sang Rosette Anday Orfeo in Glucks Orfeo ed Euridice unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter und unter der Regie von Margarete Wallmann, beide später aus rassistischen Gründen aus Deutschland vertrieben. Angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung erblickten Vertriebene im autoritär regierten Österreich „das kleinere Übel“.
Die jüdische Herkunft von Künstlerinnen und Künstlern, denen die Festspielstadt ihre internationale Strahlkraft verdankte, wurde aber der Öffentlichkeit verschwiegen. Andernfalls wäre Rosette Anday als Jüdin für die Rettung der Festspiele zu danken gewesen.
Politisch motivierte Absagen, Umbesetzungen und Programmänderungen gab es auch in den folgenden Festspielsommern, insbesondere als Clemens Krauss, Direktor der Wiener Staatsoper, und einige seiner Ensemblemitglieder gegen Jahresende 1934 und im Verlauf des Jahres 1935 in die Hauptstadt des Deutschen Reiches abwanderten. Die erstmals im Festspielsommer 1934 von Clemens Krauss mit großem Erfolg geleitete Oper Elektra von Richard Strauss hätte somit 1935 bei ihrer Wiederaufnahme zum Teil neu besetzt werden müssen. Im Februar 1935 hieß es noch, dass Erich Kleiber, der als couragierter Generalmusikdirektor in Berlin zurückgetreten war, in Salzburg als Dirigent dieser Oper vorgesehen sei. Im Mai 1935 fiel jedoch die Entscheidung, Elektra „über Auftrag des Kanzlers“ (Kurt Schuschnigg) abzusagen – eine politische Entscheidung also.
Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal stand in der Wiener Inszenierung von Lothar Wallerstein erst 1937 wieder auf dem Salzburger Spielplan mit Rosette Anday sang die Klytämnestra. Am Pult stand Hans Knappertsbusch.
Das war Rosette Andays vorerst letzter Festspielsommer. Als Jüdin, die zum christlichen Glauben konvertiert war, erhielt sie im März 1938 an der Wiener Staatsoper Auftrittsverbot. Mit Hilfe ihres Ehemannes Karl Bündsdorf, eines „arischen“ Wiener Rechtsanwaltes, überstand sie die sieben Terrorjahre im nationalsozialistischen Wien an nicht bekannten Orten. Die Memoiren schweigen darüber.
Bei den Salzburger Festspielen 1946 und 1947 konnte sich Rosette Anday in kleinen Rollen behaupten: als Annina im Rosenkavalier und als Adelaide in Arabella, als Simons Weib in der Uraufführung von Dantons Tod (Gottfried von Einem) 1947. Ihr letzter Festspielauftritt war im selben Jahr in einem Domkonzert mit Mozarts Requiem. An der Wiener Staatsoper, deren Ehrenmitglied sie war, verabschiedete sie sich 1961 als Klytämnestra. Rosette Anday starb 1977 in Wien und erhielt ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Im öffentlichen Raum der Festspielstadt Salzburg existiert ihr Name nicht. (Wird fortgesetzt)