Geigerin von hohem Rang und schönster Zukunft
VERTRIEBENE JÜDISCHE FESTSPIEL-KÜNSTLER (2) / ALMA ROSÉ
12/08/20 Als junge Cellistin war Anita Lasker-Wallfisch Mitglied des „Mädchenorchester“ im Vernichtungslager Auschwitz. Sie ist am Samstag (15.8.) Video-Gast in der Festspiel-Reihe Reden über das Jahrhundert. Die Geigerin Alma Rosé hat damals nicht überlebt: „An ihrer Wiege stand Gustav Mahler, an ihrer Bahre Josef Mengele“, so Anita Lasker-Wallfisch über Alma Rosé.
Von Gert Kerschbaumer
„Geigerin von hohem Rang und schönster Zukunft“ hieß es in einem Zeitungsbericht nach dem Debüt der damals Zwanzigjährigen im Wiener Musikverein. Alma Rosé, geboren 1906 in Wien, war das zweite und jüngste Kind des Ehepaares Justine, geborene Mahler, und dem Geiger Arnold Rosé. Alma wurde evangelisch getauft (Helvetisches Bekenntnis), Patin war die Tante Alma Mahler, Gattin des Komponisten und Hofoperndirektors Gustav Mahler.
In der öffentlichen Wahrnehmung blieb die Geigerin Alma ROSÉ Tochter und Nichte „großer Männer“. Außerdem heiratete sie 23-jährig einen „Großen“ ihrer Kunstgattung, den internationalen Stargeiger Váša Příhoda, einen tschechoslowakischen Staatsbürger. Ihre an Turbulenzen reiche Ehe scheiterte jedoch nach wenigen Jahren und wurde 1935 geschieden.
Im politischen Wendejahr 1933 gründete Alma Rosé die Wiener Walzermädeln, ein Frauenorchester, das bei seinem Debüt im Varieté Renz „wienerisch leichtbeschwingte Weisen“ hören ließ. Trotz dieses eigenständigen Wegs der Selbstverwirklichung vermochte sie sich nicht zur Gänze von ihren „großen Männern“ zu lösen, da sie auch Einladungen ihres Vaters annahm, gemeinsam mit dem aus älteren Herren bestehenden Rosé-Quartett aufzutreten, beispielsweise am 30. August 1936 im Großen Saal des Mozarteums. Das war ihr einmaliger Auftritt und auch der letzte des „altehrwürdigen“ Rosé-Quartetts bei den Salzburger Festspielen.
Da Alma Rosé einen tschechischen Reisepass besaß, hätte sie schon im März 1938 das nationalsozialistische Wien ungehindert verlassen können. Sie blieb aber, nicht zuletzt wegen ihrer schwer kranken Mutter, einer Schwester Gustav Mahlers, die am 22. August 1938 in Wien starb. Im Herbst 1938 reiste Alma Rosé nach London, um die Flucht ihres in Wien unter Depressionen leidenden Vaters Arnold in die Wege zu leiten und ihm eine Existenzgrundlage zu verschaffen. Dank ihrer Initiative erreichte Arnold Rosé 75-jährig am 1. Mai 1939 das rettende Exil.
In London gelang es den beiden, das Rosé-Quartett wiederzubeleben. Da Alma Rosé jedoch in England keine Arbeitserlaubnis als Solistin erhielt, reiste sie Ende 1939 nach Holland, um ein finanziell lohnendes Engagement anzutreten und ihren Vater in London zu unterstützen. Nach dem deutschen Angriff auf Holland im Mai 1940 saß die Künstlerin in der Falle: Ihre Flucht in die Schweiz scheiterte Ende 1942 im besetzten Frankreich. Sie wurde in Dijon verhaftet und in Drancy bei Paris interniert. Am 18. Juli 1943 ging der Transport Nr. 57 in Güterwaggons mit 1.000 jüdischen Frauen, Männern und Kindern, darunter Alma Rosé, nach Auschwitz.
Im Frauenlager von Auschwitz-Birkenau wurde Alma Rosé als Nummer 50381 registriert und von der Oberaufseherin Maria Mandl – „Bestie“ aus Münzkirchen in Oberösterreich – ihrem „Mädchenorchester“ zugeordnet.
Alma Rosé, bei ihrem Debüt anno 1926 im Wiener Musikverein als Geigerin von hohem Rang und schönster Zukunft gefeiert, war an ihrem Lebensende Geigerin und Dirigentin im Vernichtungslager Auschwitz. Am 4. April 1944 starb sie 37-jährig an einer Vergiftung, die sie sich durch verdorbene Konserven zugezogen hatte. (Wird fortgesetzt)