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Das Hohelied der Hoffnung

FESTSPIELE / MINGUET QUARTETT

11/08/20 Die international ausgerichteten Salzburger Festspiele können nicht gut einen Bittgottesdienst ins Programm nehmen. Nicht einmal in Seuchenzeiten. Dennoch hatte das Konzert des Minguet Quartett in der Kollegienkirche etwas von einer nicht konfessionellen Votivmesse. Einem in sich gekehrtenaber strahlendem „Trotzdem“.

Von Heidemarie Klabacher

Fragmente – Stille heißt die vierteilige Reihe im modifizierten Festspielprogramm in der Kollegienkirche. Das Minguet Quartett spielte am Montag (10.8.) das titelgebende Werk

Fragmente – Stille, an Diotima für Streichquartett von Luigi Nono. Auf diesen Höhepunkt, nicht nur des Abends, sondern der „Streichquartett-Kunst“ der Gegenwart überhaupt, hin führte eine geniale Programmdramaturgie mit Werken, die für Nono wichtig waren.

Vier Chansons von Johannes Ockeghem, klangschön aber erstaunlich wenig gestaltungsfreudig gespielt, dienten mehr der Loslösung von der Welt draußen vor der Kirchentür, denn interpretatorischem Lustgewinn. Dass die Hauptstimme einiger Chansons irgendwo in der Bratschenstimme von Diotima versteckt sind, hört man nicht einmal, wenn man es weiß (dazu bräuchte man die mit Leuchtstift markierten Stellen in der Partitur zum Mitlesen). Aber allein die Tatsache, dass ein Hauptwerk der Kammermusik des Zwanzigsten Jahrhunderts fünfhundert Jahre tief in der Musikgeschichte wurzelt, fasziniert.

Das Programm entwickelte damit vom ersten Ton an, einen unwiderstehlichen Sog in höhere Gefilde. Aufstiegshilfe war dabei Giuseppe Verdis Ave Maria aus den Quattro pezzi sacri, genauer gesagt, die dem Chorstück zu Grunde liegende „geheimnisvolle“ Tonleiter. Diese Scala enigmatica ist eine Art musikalischer Treppenwitz, eine Denksportaufgabe für Komponisten, die Verdi bravourös gelöst hat. Das Stück funktioniert auch ganz wunderbar in der Streicherfassung: Das Minguet Quartett hat der ohnehin schillernden Harmonik bei größter Transparenz psychedelische Klangschlieren verliehen.

In den musikologisch-dramaturgischen Zopf rund um die eigenwillige Tonleiter zwischen allen Dur- und Moll-Stühlen eingeflochten ist auch der dritte Satz aus dem Streichquartett Nr. 15 a-Moll op. 132 von Ludwig van Beethoven. Der Satz trägt den Untertitel Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart und geht auch in Nicht-Seuchenzeiten unter die Haut. Bewegend ist der Wechsel zwischen den weit ausgespielten innigen Linien und den lebensstark aufblühenden Momenten. Neue Kraft fühlend schreibt Beethoven drüber. Das Minguet Quartett zeichnete diese Wechsel betörend wendig phrasiert nach und demonstrierte eindrücklich, dass man auch im Hallraum der Kollegienkirche glasklar romantisches Streichquartett spielen kann.

Dennoch war die Hauptsache des Abends Luigi Nonos Fragmente – Stille, an Diotima für Streichquartett. In diesem großen Kammermusikwerk von bald einer dreiviertelstunde Spieldauer gibt es kaum laute Töne. Hin-und-wieder ein markanter Aufstrich, da und dort eine Kehrtwendung verursacht von einem kleinen Energieschub. Im übrigen ist Diotima das Hohelied des pianissimo, ein in sich gekehrter Gegenentwurf zu Lautstärke, Gewalt oder Hoffnungslosigkeit. Das Stück der Stunde.

Bilder: SF / Marco Borelli

 

 

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