Schmerzhafte Erinnerungen
FESTSPIELE / HINTERGRUND / ERNST LOTHAR
10/08/20 Es sind nicht mehr recht viele, die mit dem Namen Ernst Lothar (1890-1974) etwas anfangen können. Der Zsolnay Verlag strengt sich an, den Mann wieder in Erinnerung zu bringen. Die Salzburger Festspiele widmeten am Sonntag (9.8.) im Haus für Mozart dem Schriftsteller und Dichter Ernst Lothar eine Lesung aus dessen Roman Die Rückkehr.
Von Werner Thuswaldner
Sein bekanntestes Buch, Der Engel mit der Posaune, die Chronik einer Wiener Familie, ist schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Paula Wessely und Attila Hörbiger verfilmt worden. Inzwischen sind auch andere Bücher wieder greifbar. Am Sonntag lasen Senta Berger, Sunyi Melles und Caroline Peters aus dem Roman Die Rückkehr.
Lothar, der als Ernst Lothar Müller in Brünn geboren wurde, spielte für die Salzburger Festspiele eine bedeutende Rolle. Das ist in der zeitgeschichtlich ergiebigen Autobiographie Das Wunder des Überlebens nachzulesen. Als Staatsbeamter hatte er schon zur Zeit der Gründung mit den Festspielen zu tun, nämlich mit deren ökonomischer Bedeutung. „Export“ war das Kapitel überschrieben in dem das Wirtschaftsministerium die Festspiele einordnete.
Lothar hatte schriftstellerische Ambitionen, die sich für ihn, wie schon für andere Staatsbeamte vor ihm – man denke an Grillparzer – mit seiner Arbeit gut verbinden ließen. Lothar wurde in den zwanziger Jahren Theaterkritiker für die „Neue Freie Presse“, dann Regisseur und schließlich Direktor des Josefstädtertheaters.
1938 emigrierte er mit seiner Familie – seine Frau war die Schauspielerin Adrienne Gessner - über Zürich und Paris in die USA. Er hatte zwei Töchter, die beide relativ früh gestorben sind. Die Jüngere war die Frau von Ernst Haeusserman. Der Plan, in den USA ein österreichisches Theater zu gründen, blieb ohne Erfolg. Lothar unterrichtete, schrieb Bücher und hielt Vorträge. Andrienne Gessner tourte als gefragte Schauspielerin durch die Staaten.
Das Ehepaar erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft und durchlitt einen schweren inneren Konflikt in Sachen Loyalität. War sie nach wie vor dem Herkunftsland geschuldet oder dem Gastland, das sie mehr oder weniger großzügig aufgenommen hatte und das sie auch einforderte? 1946 kehrte Lothar in amerikanischer Uniform nach Wien zurück. Siegergefühle waren wohl nicht im Spiel. Hier in Österreich wurde er in amerikanischem Auftrag in der „Entnazifizierung“ tätig. Sollten Künstler, die ihre Karriere unter den Nazis gepflegt hatten, wieder arbeiten dürfen? Waren sie Mitläufer oder stramme Nazis gewesen? Lothar führte mit Persönlichkeiten wie Karajan, Furtwängler, Richard Strauss und manch anderen heikle Gespräche/Verhöre. Und er wurde in dieser Rolle nicht nur geliebt.
Lothar gelang es, sich bald wieder in die Kulturszene einzuschalten und wurde als Regisseur und Direktoriumsmitglied zu einer wichtigen Stütze der Nachkriegs-Festspiele. Dass der Jedermann in Reinhardts Sinn weitergeführt wurde, gehörte zu seinen Verdiensten. Er logierte nicht wie Max Reinhardt im Schloss Leopoldskron, sondern in einem Haus in Morzg.
So ging das einige Jahre gut, bis die Kritik an der nicht gerade fortschrittlichen Theatersparte lauter wurde. Lothar resignierte, Leopold Lindtberg wurde sein Nachfolger.
Viele biographische Bezüge sind in den Roman Die Rückkehr eingegangen. Schmerzhafte Wiederbegegnungen nach dem Exil, offene Rechnungen werden zum Thema der konstruiert wirkenden Handlung. Die drei Schauspielerinnen – und das ist ihnen hoch anzurechnen – beließen es nicht bei einer Lesung, sondern nützten jeden Anlass zu einer dramatischen Überformung. Senta Berger brillierte mit phasenweiser österreichischer Diktion, und Caroline Peters ließ die im Text angelegten Rollen plastisch hervortreten.
Der Eindruck, dass man da saß mit dem Mund-Nasen-Schutz vor dem Gesicht wie in einem Bunker, weil draußen gerade der Gaskrieg tobt, drängte sich freilich auf.
Bilder: SF / Marco Borelli (3); Christopher Thomas (1)