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Argo fuck yourself!

FESTSPIELE / KERMANI

10/08/20 Die wegen Unfruchtbarkeit verstoßene Soraya. Ihre Nachfolgerin Farah Diva... Klatsch klebt. Spannend ist auch Argo, der Film über die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 und sechs untergetauchte Botschaftsangehörige, die als Filmteam getarnt in letzter Sekunde außer Landes gebracht werden. Toller Stoff für einen Thriller - der den Haken hat, dokumentarisch zu sein.

Von Heidemarie Klabacher

Diese Geiselnahme hätte sich Amerika ersparen können. Hätte die CIA 1953 im Iran nicht den Putsch gegen Premierminister Mohammad Mossadegh inszeniert und finanziert, wäre die Welt heute eine andere.

Das ist stark verkürzt die Quintessenz einer so spannenden wie herausfordernden Lektion in Sachen Zeitgeschichte des Iran und ihrer Folgen für die Welt, gegeben vom Schriftsteller Navid Kermani am Sonntag (9.8.) bei seiner mit historischen Exkursen unterlegten Lesung in der Festspielreihe Reden über das Jahrhundert in der Felsenreitschule.

Die Geiselnahme von 1979 (von den USA erzwungen werden sollte die Auslieferung von Reza Pahlavi, dem geflüchteten krebskranken letzten Schah von Persien), die Mudschahidin in Afganistan, den Terror von 2001, den Islamischen Staat, die Flüchtlinge vor dem IS in Europa und den Kampf Europas gegen genau diese Flüchtlinge: „Alles, was dort passiert ist, hat Auswirkungen auf uns.“ All das hätte, so sinngemäß der Orientalist, Kriegsberichterstatter und Dichter Navid Kermani, Amerika sich selbst und der Welt ersparen können. Wie gesagt: Hätten die USA 1953 nicht (zusammen mit den Briten) den CIA-Putsch gegen den demokratisch und westlich gesonnenen Premierminister des Iran Mohammad Mossadegh inszeniert und finanziert, wäre die Welt eine andere. Die Ereignisse, Fakten und Argumentationsstränge bettete der 1967 in Deutschland geborene Schriftsteller in Passagen aus seinem Roman Dein Name ein. Einen Handlungsstrang in diesem 1232-Seiten-Wälzer hat Kermani seinem Großvater gewidmet.

Dieser Großvater reiste 1895 als Kind allein in der offenen Pferdekutsche von Isfahan nach Teheran, um dort die „Schule der Franken“, die spätere amerikanische Schule, zu besuchen. Das war zur Einleitung gelesen ein Stück aus dem Roman, poetisch farbig, erzähltechnisch kreiselnd um „die Lebensgeschichte des Großvaters, die nie gedruckt werden sollte“. Diese Schule, so Navid Kermani dann im Vortragsmodus, sei zur Kaderschmiede des demokratischen anti-kolonialistischen Iran und der „Nationalen Front“ geworden. Und später das Zentrum der Erhebung...

Iranisches Öl gehörte Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre den Briten. Es sei Mohammad Mossadegh gewesen „der charismatische Führer des Iran“, der den Briten eine fürchterliche Niederlage beibrachte, „erinnerte“ (wer in der Felsenreitschule hat es denn gewusst?) Navid Kermani. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit der Anglo-Iranian Oil Company, die 1951 auch vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gingen, „konnte niemand erklären, warum das iranische Öl den Briten gehören sollte“. Sein großbürgerlicher Großvater, so Kermani, sei Teil dieses Kampfes gewesen, hätte selbst kandidieren sollen, sei aber abgesägt worden...

Es kamen die Wirtschaftsboykotte, Mossadegh wurde ab- und wieder eingesetzt. „Das Volk lieh seinem eigenen Staat Geld“, fasste Kermani zusammen. Literarisch überhöht hat der Dichter Kermani im Roman diese Zeit mit der Geschichte vom armen Derwisch, der dem Premierminister seinen kostbaren Gehstock schenken will. Überbringen sollte diesen erzähltechnisch leitmotivisch eingesetzten Stock, der Großvater des Dichters. „Eine der großen Sagen in unserer Familiengeschichte.“

Bis zum Vorabend des CIA-Putsches habe Mossadegh nicht an eine Beteiligung Amerikas glauben können. Das Geld an die Putschisten verteilt habe damals übrigens der Lehrer Ajatollah Chomeinis.

Eine Liebesgeschichte, die in Hass umschlug“, nannte der Schriftsteller Navid Kermani zusammenfassend die „Beziehung“ zwischen den USA und dem Iran: „Tod Amerika“ sei auf dem Asphalt der zweitgrößten Straße der Stadt zu lesen. „Niemand in Teheran weiß heute noch, dass die Jordan Street (heute anscheinend Nelson Mandela Boulevard, Anm.) nicht nach 'Jordanien' benannt ist, sondern nach dem Presbyterianer-Pater Samuel M. Jordan, dem Leiter der amerikanischen Schule.“

Und warum Argo, fuck yourself? Kommt im Film Argo aus 2012 in der Regie von Ben Affleck vor. Ist eine Art aufmunternder Zuspruch, während zur Tarnung die volle Hollywood Marketingmaschine für den gefakten Film gleichen Namens anläuft.

Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen/Westfalen, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er ist habilitierter Orientalist, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und immer wieder als Reporter in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Die New York Times Book Review nannte ihn „einen der aufregendsten Intellektuellen Deutschlands“. Zu seinen wichtigsten Auszeichnungen gehören der Kleist-Preis, der Josef-Breitbach-Preis sowie im Jahr 2015 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuletzt erschienen von ihm sind die Bücher Morgen ist da. Reden und eine Anthologie mit Texten von Friedrich Hölderlin Bald sind wir aber Gesang, beide im Verlag C. H. Beck
Bilder: SF / Marco Borelli
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