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Vor Leukozythen versagen die Kranich-Götter

FESTSPIELE / 1000 KRANICHE

04/08/20 Eintausend Kraniche konnten ihr nicht helfen, auch wenn alter japanischer Legende nach die Tausend eine magische Zahl wären: Wer so viele Origami-Kraniche faltet, dem versprechen die Götter die Erfüllung eines Wunsches.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Hoffnung der damals zehnjährigen Sadako Sasaki, von der „Atombombenkrankheit“ zu genesen, war freilich vergebens. Damals gab es noch keine Heilungsmöglichkeiten für Leukämie. Zweieinhalb Jahre war sie als, als 1945 die Atombombe auf Hiroshima gefallen ist (es ist also 75 Jahre her). Zehn Jahre später ist das Mädchen an den Folgen der Verstrahlung gestorben, am 25. Oktober 1955. Auf den Denkmälern für Sadako am Ort selbst und in Washington D.C. werden immer noch Origami-Kraniche deponiert, viele tausend jedes Jahr.

1000 Kraniche hätte eine mobile Jugendproduktion im Festspiel-Jubiläumsjahr werden sollen. Geht natürlich (zumindest nach aktuellem Stand der Dinge) nicht. Aber die Produktion, die am zweiten Tag der Festspiele in der Großen Aula Premiere hatte, ist immerhin gerettet. Und angesichts des geringen personellen Aufwands und der schlichten szenischen Mittel wäre die Option für Mobilität aufrecht.

Die Geschichte vom sehr kurzen Leben der Sadako Sasaki auf die Bühne stellen, könnte eine Sache zum Tränendrücken sein. Vielleicht sogar geeignet, das junge Zielgruppen-Publikum nachhaltig zu verschrecken. Von beidem keine Rede. Kolportagehaft wird vom Schicksal des Mädchens erzählt, mit Sinn für gedankliche Freiräume. Nicht nur, weil Puppenspiel sowieso die Fantasie anregt, braucht es keine Knalleffekte. Papier ist – nahe liegend – das Medium der Wahl. Katharina Halus und der Ausstatter Edouard Funck haben sich eine Papier-Sadako in Origami-Technik ausgedacht. Manchmal spielt nur der imaginäre Kopf, manchmal eine Figur als Ganzes. Wer sich aufs Puppenspiel versteht (und das tut die in Berlin ausgebildete Katharina Halus), weiß um die Magie des Mediums, die auf junges wie erwachsenes Publikum gleichermaßen strahlt.

Ein Würfel aus papierbespannten Holzrahmen – so gefährdet wie damals die mehrheitlich aus Holzhäusern bestehende Stadt Hiroshima und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Ein Tritt, und schon ist die heile, bergende Welt dieses Kubus dahin.

Die Anspielung auf den unmittelbar bevorstehenden Tod des Mädchens werden wohl nur diejenigen verstehen, die Schuberts „Nebensonnen“ im Ohr haben. Was immer überwiegt in dieser durchaus auch optimistischen Bühnen-Erzählung, ist die Lebensfreude der jungen Leute, für die Katharina Halus und die Mezzosopranistin Kanako Shimada stehen. Durchaus erstaunlich: Man kann auch über Leukozyten singen.

Diese beiden sind nicht die einzigen auf der Bühne, denn die beiden Musiker, Konstantin Dupelius (Klavier/Elektronik) und Gustavo Strauß (Violine) sind nicht nur für die Musik verantwortlich, die sehr oft Bekanntes verfremdet und verschneidet. Auch sie sind als Schauspieler gefordert. Wenn der Hut auf die Bühne kommt, sind sie in einer gar undankbaren Rolle – nämlich in jener derer, die als Wissenschafter und Militärs den Abwurf der Atombombe zu verantworten hatten. Dass man eben Gebrauch macht davon, wenn sich schon die Möglichkeit bietet... An dieser Mentalität im Umgang mit Kriegsgerät, aber auch mit anderen Dingen, die dem Menschenwohl nicht dienlich sind, hat sich bis heute leider nichts geändert.

1000 Kraniche ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, dass Kinder- und Jugendtheater dann am Besten ist, wenn es sich nicht anbiedert, sondern fordert. Natürlich werden Zehnjährige (das untere Alterslimit) die Geschichte anders wahrnehmen als Ältere. Anknüpfungspunkte gibt es in der von Sybrand van der Werf inszenierten Geschichte für alle Altersstufen in Menge. Auch für uns Erwachsene übrigens, die wir uns – die Probe wird in der Aufführung gemacht – schwer tun beim Falten von Kranichen. Ein Stück Papier wird mitgeliefert mit dem Programm-Folder. Aufpassen beim vierten Mal Einschlagen, da kommt es auf die Richtung an! Der Schreiber dieser Zeilen hat's versemmelt. So wie die Kranich-Götter die Wunscherfüllung für Sadako...

Weitere Vorstellungen in der Großen Aula am 9., 15., 23. und 30. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Erika Mayer

 

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