Was ein Dichter heute tun kann, ist warnen
SALZBURGER FESTSPIELE 2020 / OUVERTURE SPIRITUELLE
19/11/19 Das Motto Pax (Friede) für die Ouverture spirituelle drängt sich im 100. Festspieljahr auf. Schließlich war es ein Gründungsgedanke der Festspiele, nach dem Ersten Weltkrieg ein europäisches Friedensprojekt aus dem Geist der Kunst zu schaffen.
Von Reinhard Kriechbaum
„Die Kunst als Friedensbringer und die Qualität als Programm haben uns durch die Jahrzehnte getragen“, so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler dieser Tage bei der Programmpräsentation. Die Ouverture spirituelle, die am 19. Juli 2020 beginnt (einen Tag zuvor gibt es schon einen Jedermann am Domplatz), verspricht genau das einzulösen.
Es geht los mit quasi einem Angesang an den Frieden und einer Beschwöung desselben: Das monumentale A-cappella-Chorwerk Friede auf Erden von Arnold Schönbergs ist 1911, also noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die musikalische Bitte verhallte leider ungehört. Benjamin Brittens War Requiem uraufgeführt 1962 in der wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry, ist ein sehr persönlicher und eindringlicher Aufruf gegen den Krieg, den Britten schmerzlich erfahren hatte. „My subject is War, and the pity of War, / The Poetry is in the pity… / All a poet can do today is warn.“ (Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. / Die Poesie liegt im Leid … / Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen.) Diese Worte des britischen Dichters Wilfred Owen stellte Britten seiner Partitur voran.
Owens Worte gelten auch für die vielen anderen Werke, die in der Ouverture spirituelle erklingen. Aber was für einen Reim soll man sich darauf machen, dass ausgerechnet ein „Schlager“ des Renaissancezeitalters, das volkstümliche Lied „L’homme armé“ (Der Mann in Waffen) die Melodie-Grundlage für zahllose Messen bildete, darunter einige der bedeutendsten der Renaissance wie jene von Josquin Desprez? Es ging wohl hoffentlich nicht um Ideologie, sondern um die einprägsame Melodie. Claudio Monteverdis Achtes Madrigalbuch – Madrigali guerrieri et amorosi – hingegen beweist, wie nahe Krieg und Liebe einander stehen, „dass der Krieg eine Herzenssache und die Liebe eine Hölle sein kann“. Andere Komponisten, wie Händel in seinem Oratorium Messiah, entwerfen das Bild von einer besseren Zukunft. Beethovens Schauspielmusik zu Egmont reflektiert über den gerechten Griff zu den Waffen, und seine Missa solemnis endet nicht etwa in der Verklärung des himmlischen Friedens, sondern in der bangen Hoffnung angesichts des drohenden Krieges. Dieser Missa stand wiederum Haydns Paukenmesse Pate, entstanden im Angesicht der napoleonischen Bedrohung.
Das Eröffnungskonzert der Ouverture spirituelle mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra and Chorus dirigiert Mirga Gražinytė-Tyla. Sie hat den Young Conductors Award der Festspiele 2012 gewonnen. Der Preisträger von 2014, Maxime Pascal, dirigiert das SWR Symphonieorchester und den Bachchor Salzburg mit Werken von Luigi Nono, Klaus Huber und Giacinto Scelsi. Die Missa solemnis liegt in den Händen von Philippe Herreweghe (Orchestre des Champs-Élysées und Collegium Vocale Gent). Händels Messias in einer szenischen Version von Robert Wilson unter Marc Minkowski ist erine Übernahme von der Mozartwoche. Haydns Paukenmesse (Missa in tempore belli, also in Kriegszeiten) und die Egmont-Musik leitet Riccardo Minasi in der ersten Mozart-Matinee. An zwei Abenden ist Jordi Savall mit seinen Ensembles zu Gast, Für ein Programm Lux Aeterna Theodor Currentzis mit misAeterna.
Der Schrecken der beiden Weltkriege hat sich besonders tief in viele Kompositionen eingeschrieben: Luigi Dallapiccola komponierte seine Canti di prigionia als Reaktion auf Mussolinis „Rassengesetze“. Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps, von ihm und anderen Kriegsgefangenen der Wehrmacht in einem Lager bei Görlitz uraufgeführt, kündet von der Hoffnung auf ewigen Frieden; Et exspecto resurrectionem mortuorum (Und ich erwarte die Auferstehung der Toten) für Holz- und Blechbläser sowie Metallschlaginstrumente erinnert an die Toten beider Weltkriege. Different Trains ist Steve Reichs Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
Die Partitur von George Crumbs Black Angels, geschrieben während des Vietnamkriegs, trägt den von Haydn geprägten Zusatz „in tempore belli“. Karlheinz Stockhausens Inori (der japanische Titel bedeutet „Gebet, Anrufung, Anbetung“) entzieht sich zwar der eindeutigen thematischen Zuschreibung, stattdessen lädt der Komponist zur Meditation und zur Suche nach dem persönlichen Frieden ein. In Konx-Om-Pax beschwört Giacinto Scelsi den Frieden in drei Sprachen, Luigi Nono sucht ihn in „nostalgisch-utopischer Ferne“. Quod est pax? fragt Klaus Huber in seinem gleichnamigen Werk und kommt – ähnlich wie Nono – zu dem Schluss: „Gerechtigkeit, zusammen mit Concordia stand als Grundlage wahren Friedens im Vordergrund. Dazu gehörte auch: aufeinander hören, zuhören können. Eine bis heute uneingelöste Allegorie von Frieden, welche die Musik nicht unberührt lassen kann.“