Würdig des Lobes ist nicht nur der liebe Gott
FESTSPIELE / GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER
29/08/19 Noch einmal Gerhaher. Und vor allem: Noch einmal Blomstedt. Der erste Liederabend dieser Festspiele, Gerhaher/Huber mit Britten, Brahms und Mussorgski, ist ebenso glasklar in Erinnerung, wie das erste Gastspiel der Wiener Philharmoniker unter Herbert Blomstedt mit Mahlers Neunter.
Von Heidemarie Klabacher
Nun sind die beiden Proponenten der beiden „unvergessbarsten“ Konzert-Ereignisse des Festspielsommers 2019 miteinander auf der Bühne gestanden – und haben Musikalität, Kundigkeit und Charisma nicht nur multipliziert, sondern potenziert. Zudem wurde ein weiterer spannender dramaturgischer Bogen – Zufall? Absicht? – mittels des Aspekts „Slawische Sprachen“ geschlagen: Waren es beim Liederabend Modest P. Mussorgskis Pesni i pljaski smerti – die russischen „Lieder und Tänze des Todes“ – waren es beim Gastorchester-Konzert am Dienstag (27.8.) in der Felsenreitschule die Biblischen Lieder op. 99 von Antonín Dvořák, von Christian Gerhaher auf Tschechisch gesungen. Der Komponist selber hat sich der auserkorenen Psalmen (kunterbunt zwischen 23 und 145) recht freizügig bedient und Verse nach Bedarf der Vertonung – und seiner in dieser Zeit in Amerika eher depressiven Stimmung – um- und zusammengestellt.
Herbert Blomstedt gestaltete mittels Gustav Mahler Jugendorchester den kammermusikalischen und durchaus bläserdominierten Orchesterpart wie ein Emaille-Künstler im frühen Mittelalter in Limoges seine Kostbarkeiten: Präzise und feintse Formen in purem Gold, ausgefüllt mit klaren strahlenden Farben. Ein solch unschätzbares Emaille-Kunstwerk „knallt“ nicht, bei aller Pracht der Materialien und ihrer unvergänglichen Farben. Auch Herbert Blomstedts Lesart des Orchesterparts „knallte“ nicht, bei aller Farbigkeit und Lebendigkeit. Der große Dirigent bot dem – vermutlich um vierzig fünfzig Jahre jüngeren – Sänger genau jene differenzierte eigenständige und bei aller Brillanz doch immer zurückhaltende „Begleitung“, die Gehahers stimmliche und gestalterische Qualitäten so singulär machen. Die Wortdeutlichkeit, selbst in der Fremdsprache, ist singulär: Selbst bei nur geringer Erfahrung mit slawischen Sprachen versteht man Schlüsselwörter und zentrale Wendungen. Dem Zuhörer ohne Kenntnis der jeweiligen Sprache vermittelt Christian Gerhaher auch so eindrücklich Stimmung und Inhalt: Verzweiflung, Hoffnung, Verehrung, Hoffnung bis zur Vision im berühmten Psalm 21 Der Herr ist mein Hirt oder Anbetung in herrlich weltlicher Munterkeit Herr, mein Gott, ich sing ein neues Lied und immer wieder Flehen um Erbarmen oder Rettung vor dem Verfolger sind die Themen der Biblischen Lieder. Wie Sänger und Orchester und Dirigent diese Kleinodien zur Wirkung brachten – ob Gott nun tot ist oder nicht – ist singulär und bleibt die Referenz-Erinnerung an diese so scheinbar schlichten, besonders von den Holzbläsern verspielt trillernd und von den Blechbläsern weihevoll untermalten Lieder.
Die Sechste hatte es danach gar nicht leicht – so grandios Herbert Blomstedt darin war, die ja tatsächlich ein wenig disparate Symphonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 von Anton Bruckner wie aus einem einzigen Guss in den Raum zu stellen. Bruckner habe nur eine Symphonie komponiert, diese dafür neun Mal lautet eine ja nicht ganz unklug beobachtete musikgeschichtliche Frechheit. Bei der Sechsten fällt einem dazu ein, er habe vier Sätze geschrieben und in jeden Satz alles verpackt: Maestoso ins Scherzo und umgekehrt. Melodisches Idyll und heroisches Aufbäumen – immer dort, wo man es grad am wenigsten erwartet. Herbert Blomstedt schmidete mit Werkzeug zwischen Goldschmieds Hämmerchen und Grobschmieds Hammer eine überwältigende stimmige Einheit.
Hörfunkübertragung am 8. September um 11.03 Uhr in Ö1