Liebe zu Domingo, metoo!
FESTSPIELE / LUISA MILLER
26/08/19 Vox populi, vox Dei: Standing ovations und minutenlanger Beifall im Großen Festspielhaus schon beim Auftritt der ganzen Sängergruppe vor der konzertanten Aufführung von Verdis Luisa Miller. Die überbordende Begeisterung galt natürlich einem: Placido Domingo.
Von Reinhard Kriechbaum
Kurzzeitig also eine etwas überhitzte Fußballplatz-Atmosphäre, die durch „Bravo Domingo“-Rufe aus den hinteren Sitzreihen im Parterre mächtig aufgepeitscht wurde. Placido Domingo und #metoo?
Er ist Publikumsliebling, jetzt erst recht, ältere Damen warten am Podiumsrand mit Blumensträußen! Die unlängst aufgepoppte Diskussion ließ die Festspielbesucher inhaltlich – durchaus erwartungsgemäß – kalt, sie provozierte vorauseilende Begeisterung auf deutlich erhöhtem Domingo-Pegelstand. Und der ist schon im Normalfall nicht niedrig.
Die Vox populi votierte an diesem Abend, der ob der aktuellen Causa Domingo auch zu deutlich erhöhter Foto- und Fernsehkamera-Präsenz führte, im übrigen nicht allein für Domingo: Auch Piotr Beczala hat minutenlangen Beifall eingeheimst, als er in der Rolle des Rodolfo, noch in ungetrübter Liebes-Reinheit und von Wurms Kabalen unberührt, seine Luisa anschmachtete. Der Publikumsgott kann auch durchaus gerecht sein.
Von Sängerfesten ist meistens zu berichten, wenn die Festspiele konzertante Oper ausrichten. Es gelingt bemerkenswert oft die Quadratur des Kreises, sprich: die Verbindung aus Starkult, handverlesen-homogenen Ensembles und stilistisch beispielhaften Aufführungen. Für Verdis Luisa Miller, die zwei Mal gegeben wird, gilt jedenfalls: sehr gute bis herzeigbare Einzelleistungen. Der Abend gehörte der Georgierin Nino Machaidze. Sie ist im Koloraturfach nicht minder präsent wie im Lyrisch-Dramatischen, und beides ist für die Titelrolle gleichermaßen gefragt. Wie diese „Königin der Herzen“ (so der Eingangschor über sie) in ihrer ersten Arie mit perlenden Tönen mit Klarinetten und den anderen flatternden Holzbläsern wetteifert – so fühlen sich eben die Schmetterlinge einer frisch Verliebten an. Ein ähnliches Miteinander von Koloraturstimme und Holz ist in ihrer letzten Arie („ein Grab,mit Blumen ausgelegt“) auch gefragt.
Sonst war eher eine gewisse sängerische Geradlinigkeit Merkmal dieses Opernabends, immer hart an der Grenze zur Übersteuerung. Damit meinen wir beileibe nicht nur den Sänger des intriganten Wurm, John Relyea: Man kann den finsteren Bösewicht, der des Basses Urgewalt vor sich herträgt, auch übertreiben. Schnell wird eine Karikatur daraus. Auch ein geeichter Verdi-Bass wie Roberto Tagliavini (Graf Walter) hatte gegen diesen vorlaut seine Kabalen spinnenden Wurm wenig Chance.
Das Mozarteumorchester war am Sonntag (25.8.) viel beschäftigt. Vormittag die Mozart-Matinee amt Übertragung auf Ö1 und abends also Luisa Miller. Das ist eine bewundernswerte Leistung. Dass diese Wiedergabe schließlich doch einige Wünsche hinsichtlich der Farbigkeit offen ließ, ist eher nicht dem Orchester, sondern dem Dirigenten anzulasten. James Conlon hat seinen Verdi im kleinen Finger der linken Hand, und man hätte sich einige Male gewünscht, dass die Rechte assistierend beigesprungen wäre.
Zweck konzertanter Opern ist ja auch, die musikalische Feinmechanik unbeeinflusst vom Darstellerischen herauszustellen. Da wäre noch einige Luft nach oben gewesen.
Die Mezzosopranistin Yulia Matochkina als Federica hätte mehr gestalterische Assistenz vom Pult her vertragen, aber auch Piotr Beczala, der die Gefühlslagen des Rodolfo mit dem ihm eigenen Charme hinaus trompetet. Leider kein Abend der Differenzierung.
Und Placido Domingo? Der alte Fuchs, lebenslang erfahren, wählt für sich die Rollen seit langem so, dass er sich selbst nicht überfordert. Der alte Miller in Domingo-Ausformung: ein überaus besorgter Großvater seiner Luisa, misstrauisch der Kabale wie der Liebe gegenüber (der Schiller-Stoff ist ja Basis dieser Literaturoper). Dass selbst die Ältesten im Restensemble höchstens halb so alt sind wie Domingo und man das gerade dann mitbekommt, wenn die Lautstärkeschraube stark nach rechts gedreht wird – wen wundert's?