Der Flieder blüht und das Herz ist voller Leid
FESTSPIELE / LIEDERABEND DAMRAU / DE MAISTRE
23/08/19 Kann eine Sängerin „musizieren“? Ja, sie kann es, wenn sie ihre Stimme so farbenreich, so differenziert, so intelligent und musikalisch einsetzt wie Diana Damrau. Deren edles Organ in allen Lagen ausgeglichen ist, in der Artikulation bezaubernd, in drei Sprachen perfekt.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die Sopranistin Diana Damrau und der Harfenist Xavier de Maistre musizierten am Donnerstag (22.8.) im Haus für Mozart ein umjubeltes exquisites Konzert in ungewöhnlicher Besetzung. Interessant, wie gut sich die für Orchester so problematische Bühne für die leisen und lauten Töne eines Liederabends eignet. Es ist halt eine Opernbühne.
Die Damrau gestaltet jedes Lied, und sei es auch noch so klein, mit wundersamem Gespür für innewohnende Dramatik, poetische Stimmung und hintergründigen Witz. Ihr Partner an der Harfe, Xavier de Maistre, ist ein Solist und Kammermusiker, dem offenbar keine Herausforderung auf seinem Instrument zu schwierig ist. Er atmet mit der Sopranistin fabelhaft mit, setzt funkelnde Pointen, vermittelt zwischen feinem, sensiblem Sentiment und leidenschaftlicher Klangexpansion. In den beiden Konzertteilen gab es auch jeweils ein Solo für ihn. Franz Liszts hochvirtuoses Kleinod Le Rossignol nach einer russischen Weise hat die französische Harfenistin Henriette Renié, die von 1875 bis 1956 gelebt hat und eine famose Komponistin für ihr Instrument gewesen ist, mit Geschmack und Brillanz für die Harfe arrangiert. Nach der Pause folgte eine Eigenkomposition der Renié. Die Légende nach dem Gedicht Les Elfes von Leconte de Lisle ist der erstaunliche Fall einer solistischen Tondichtung, in der Tat ein wahrer Elfenzauber mit dramatischen Höhepunkten. Zwingender als de Maistre kann man diese duftige und dennoch expansive Romantik nicht spielen.
Die Liedauswahl begann mit fünf Gesängen von Felix Mendelssohn Bartholdy, Liedern nach großer Dichtung im deutschen Volkston voll innerlicher Schönheit. Berührend schlicht gelangen das Pagenlied nach Eichendorff und Des Mädchens Klage nach Schiller. Das Liszt-Intermezzo war eine gute Überleitung in eine ganz andere musikalische Welt. In den emotionsgeladenen, mitunter opernhaften Liedern des Sergej Rachmaninow geht es um Liebe, Traum und Verlangen, um dunkle Trauer und das Spiegelbild des Menschen in der Natur. Und natürlich um eine geballte Portion slawischer Schwermut. Der Flieder blüht und das Herz ist voller Leid. Bewundernswert, wie gut sich Diana Damrau in der russischen Sprache zu Recht findet, grandios, wie sie die Emphase dieser ständig zwischen Depression und Aufjauchzen pendelnden Musik glaubwürdig auf den Punkt bringt. Und der orchestrale Klaviersatz lässt sich packend auf die Harfe übertragen. Am Ende des ersten Teils stand eine echte Rarität – Der Brunnen von Bachtschissarai des spätromantischen Sowjetkomponisten Wladimir Wlassow, ein effektvoller „Schlager“ nach Puschkin.
Wieder eine andere Welt öffnete sich nach der Pause. Frühe lyrische Melodien von Reynaldo Hahn erhielten ebenso ihren eigentümlich hell-dunklen Reiz wie der köstliche und kostbare Zyklus La Courte Paille von Francis Poulenc, 1960 geschriebene Miniaturen voll absurdem Witz, espritvoller Ironie und manchmal schöner Wehmut, von der Sängerin und ihrem getreuen Begleiter vollendet interpretiert. Über den Floh, der einen Elefanten zieht oder die Karaffe, die sich ein Baby wünscht und sogar bekommt, konnte man herzlich lachen. Das offizielle Ende galt Poulencs herrlich pariserischem Gesangswalzer Les Chemins de l’amour. Darauf folgten zwei schwelgerische Lieder von Richard Strauss – Nichts und Wiegenlied – und die atemberaubend plastische, koloraturgespickte Villanelle der italienisch-belgischen singenden Komponistin Eva Dell’Acqua (1856-1930). Die Damrau bot dabei auch ein mimisches Kabinettstück. Standing Ovations.