Wir holen sie ein auf jenen Höh'n
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / BARENBOIM
23/08/19 „Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen...“ Die Kindertotenlieder Gustav Mahlers auf Gedichte von Friedrich Rückert jenseits rein ästhetischen Erfassens auf sich wirken zu lassen, wagt man eigentlich nie so recht. Monumentale Gattung und Anmutung - „Orchesterliedzyklus“ - schützen zusätzlich vor zuviel Nachdenken über den Inhalt.
Von Heidemarie Klabacher
Und Solistinnen, die zur Vermittlung der Trauer einer Mutter über den Tod zweier Kinder ihr Stimmgold aufpolieren, sind zum Glück nur selten glaubwürdig, das Herz müsste einem ja sonst als Hörer brechen...
Umso erstaunlicher und bewegender die Rückert-Mahler-Lesart von Daniel Barenboim am Pult der Wiener Philharmoniker und der Mezzosopranistin Okka von der Damerau. Die Sängerin agierte weniger als „Vokalsolistin“ denn als weitere Solostimme aus den Instrumentalzeilen der Partitur. Sie stellte sich – mit souveräner innerer und äußerer Ruhe – den Instrumentalisten quasi zur Seite, als gleichberechtigte Partnerin von Oboe, Englischhorn, Klarinette, Bassklarinette, Horn oder Celesta.
Der harmonisch ohnehin oft radikale Bläsersatz Mahlers in den 1905 uraufgeführten Kindertotenliedern für mittlere Singstimme und Orchester bekam in der radikal kammermusikalischen Behandlung durch Barenboim zusätzliche Ecken und Kanten, die den kleinen Zyklus näher als bei üblicher „süffigerer“ Interpreation an die Moderne rücken ließen. Die Mezzosopranistin Okka von der Damerau entschlug sich ebenfalls aller Opulenz und großer sängerischer Gesten – und bewegte zutiefst mit der Wirkung beinah realistisch anmutender Fassungslosigkeit angesichts unsagbaren Verlusts. Dass die Vokalstimme trotz dieser Zurückhaltung gut über den Orchesterpart drüberkam, bei hervorragender Textverständlichkeit, machte diese verinnterlichte Lesart zusätzlich spannend.
Der Tod zweier Kinder macht noch kein Konzert, welches Maß Mahlers Fünfte erfüllte. Spannendes ist zu vermelden: Etwa vom frappanten Gegensatz zwischen dem weichgespülten Trauermarsch und dem brutal zuschlagenden Stürmisch bewegt, in dem der Trauermarsch immer wieder vergeblich Versöhnung heischt. Von den Bläsern bockig artikulierte Tanzepisoden samt unverschämt „wienerischer“ Walzerfetzen gibt es ebenso zu vermelden, wie durchaus kreative koordinative Eigenwilligkeiten im Zusammenspiel. Und nicht zuletzt aus der Dritten Abteilung ein gar nicht über- sondern erstaunlich irdisches Adagetto samt Rondo-Finale, dem Barenboim bei aller raumgreifenden Monumentalität viel frechen Witz zusprach und nicht wenig distanzierende Ironie.