Im Blues-Sturm in Paris und Bukarest
FESTSPIELE / PATRICIA KOPATCHINSKAJA
19/08/19 Zwei Komponisten, vier Stücke, ein homogenes und symmetrisches Programm. Patricia Kopatchinskaja (Violine) und Polina Leschenko (Klavier) bescherten eine Zeit in Zigeunermoll mit Enescu und Ravel.
Von Erhard Petzel
Ein Eintauchen in eine Klangwelt, die sich parallel zur Zweiten Wiener Schule entwickelt hat und bei uns immer noch ein unverdientes Randdasein fristet. Die Schätze, die da von den jungen Musikantinnen gehoben wurden, sind reich und blendend schön. George Enescu und Maurice Ravel kannten und schätzten sich nicht nur, sie fanden beide in Paris einen musikalischen Mittelpunkt und hoben gemeinsam Ravels Sonate für Violine und Klavier Nr.2 G-Dur 1927 aus der Taufe.
Obwohl dieses Werk durch seine thematischen Abstecher in die Szene gekennzeichnet ist, die auch in den USA der 1920iger-Jahre als Jazz durchging, sind selbst darin Parallelen und Gemeinsamkeiten der beiden Komponisten bei aller Verschiedenartigkeit spürbar. Nach dem elegant pendelnden Allegretto mit seinen lockeren Schlusskaskaden über einem himmelhohen Geigenton ist der 2. Satz als Blues ausgewiesen. Assoziationen zu Gershwin stellen sich ein, haben sich dieser und Ravel ebenfalls geschätzt und beeinflusst. Wie spritzig und unbekümmert Ravel aber mit den diversen Phrasen und deren Versatzstücken umgeht, ist brutale Lust zur Gershwinpotenz. Die Auseinandersetzung von klassischer Attitüde mit Swing und Blues geht zwar an diesen nach heutigen Maßstäben etwas vorbei, erfreut aber besonders in diesem Werk durch ihre noch immer frische und befruchtende Eingebung.
Die Bluesphrasen sind dann auch gar nicht so fern vom Balkangestus Enescus. Im 3. Satz, Perpetuum mobile, stürmt die Geige im aberwitzigen Hummelflug über dem ursprünglichen Zweitonmotiv des Klaviers. Das virtuose Einbeziehen diverser Spieltechniken ist ebenfalls ein allen Stücken gemeinsames Element. Das zeigt sich schon zu Beginn des Abends mit Enescus Impressions d’enfance, Suite für Violine und Klavier D-Dur op. 28. Das erste Bild beginnt Kopatchinskaja solo im Gestus des Primas einer Zigeunerkapelle. Das ist auch das erste Bild eines an Mussorgsky erinnernden Programmreigens. Der Klaviereinsatz führt zu einem alten Bettler. Die weiteren Genre-Bilder werden zum überleitenden Geigenton angesagt.
Bächlein, gefangenes Vöglein und brutaler Kuckucksuhreneinsatz werden kunstfertig versinnbildlicht, ein Wiegenlied überrascht durch simples Unisono beider Instrumente, womit Nacht, Mond, ein Col-legno-Wind im Kamin und ein seit Beethoven obligater Sturm in die Aufbruchsstimmung eines Sonnenaufgangs münden. Nicht weniger virtuos-reißerisch geht es nach der Pause weiter, diesmal aber programmatisch folkloristisch. Enescu untertitelt seine Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 a-Moll op. 25 als „dans le caractère populaire roumain“. Sein Umgang mit dem Idiom des Rumänischen erinnert in den drei Sätzen streckenweise an Bartok.
Ravel begibt sich auf Pfade in der Tradition Liszts mit Tzigane – Rhapsodie de concert. Kopatchinskaja genießt die aberwitzige Virtuosität ihres Geigenparts und spielt sie verschmitzt im Publikumskontakt aus. Kongenial das harmonische Zusammenspiel mit Leschenko; nur manchmal überdeckt der offene Flügel etwas die Geige. Das Publikum dankte für den bunten und mitreißenden Abend mit frenetischem Applaus, der uns auch bewusst machen könnte, unsere Sprache gelassener und weniger angstbesetzt zu verwenden. Rumänisch ist der Bettler vorm Haus wie der gespielte Komponist darin, beide sind kosmopolit in der Ausübung ihres Berufes und verweisen auf Hintergründe in einem Land, das nicht eingeengt betrachtet sein soll. Und wer bei der musikalischen Bandbreite und Exzellenz des Zigeunerischen um politische Korrektheit fürchtet, dem kann man nicht helfen.