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Die Wahrheit braucht immer etwas um sich herum

FESTSPIELE / DIE EMPÖRTEN

19/08/19 Ach wäre es doch bloß eine Leiche im Keller, damit könnte man leben. Diese aber ist peinlicherweise in einer Kiste mitten im Büro der Bürgermeisterin verstaut. Wie ist sie dorthin gekommen? Ein Bruder der Bürgermeisterin ist mit dem Auto in eine Menschengruppe gerast. Selbstmord oder Unfall, ein Attentat gar?

Von Reinhard Kriechbaum

Noch ist die Identität des Täters nicht publik gemacht, und so hat die Bürgermeisterin mit Hilfe eines weiteren Bruders die Leiche gestohlen. Negative Publicity wäre das Letzte, was sie mitten im Kommunalwahlkampf braucht...

Zwischen Screwball Comedy und Populismus-Satire schwankt Theresia Walsers neues Stück Die Empörten, das sie im Auftrag der Salzburger Festspiele und des Schauspiels Stuttgart geschrieben hat und das am Sonntag (18.8.) im Landestheater uraufgeführt wurde. Finstere Komödie steht im Untertitel, von Groteske spricht die Autorin im Programmheft-Interview. Regisseur Burkhard C. Kosminski hat der Sache noch einen entschiedenen Drall zur Farce gegeben. Ein wenig fühlt man sich als Publikum zwischen die Stühle gesetzt. Keine Frage: Wir haben es mit Boulevardtheater zu tun, das aber dann doch ausgebremst wird von ernsthaften Gedanken übers derzeitige Politiker-Selbstverständnis.

Nun surren also schon die Fliegen um die Kiste, eine Trauerfeier für die in den Tod Gerissenen steht an, mit Medienaufmerksamkeit ist zu rechnen. Die konkurrierende Wahl-Kandidatin, eine aus dem Fremdenfeindlichkeits-Eck, rüstet verbal auf, um die Causa für sich auszuschlachten. Schon wurde das Gerücht gestreut, der vermeintliche Amokfahrer habe „Allahu akbar“ geschrieen. Die Volksseele ist also zum Kochen gebracht worden: Es seien ohnedies schon zu viele Ausländer angesiedelt in der Gemeinde.

Caroline Peters ist die Bürgermeisterin, die sich plötzlich eingebremst sieht in ihrer Schönwetter-Politik. Vom ersten Satz an erleben wir eine exaltierte Karrieristin, die in knalligen Stehsätzen denkt und argumentiert. Jede Wortmeldung wird mit Riesengesten untermalt. Bruder Anton (Sven Prietz), der beim Leichen-Diebstahl geholfen hat, sieht die Schwester und ihre Polit-Karriere – die Dame träumt von Brüssel – kritisch, er gibt sich aufmüpfig. Der Widerspruchsgeist in Person. Im Business-Look, mit Intellektuellenbrille, wirkt die geradlinige Populistin Elsa Lerchenberg (Silke Bodenbender) so zielstrebig wie selbstbewusst. Mit dem Stehsatz „Das Kreuz können sie ruhig hängen lasssen“ platzt öfter mal eine Frau mit Kopftuch herein. Frau Achmedi (Anke Schubert) hat eben ihren Mann verloren. Diese „Ausländerin“ nehmen sowohl die Bürgermeisterin als auch ihre Polit-Widersacherin mit aufgesetztem Mitgefühl ins Visier. Der Schönheitsfehler ist nur, dass die „Fremde“ keine solche ist, sondern im Land geboren. Sie steht für Lebensnähe, klagt Vernunft und Gerechtigkeit ein.

Und dann ist da noch einer, der nicht recht einzuordnen ist. Pilgrim (er hat nur einen Vornamen) ist das Faktotum im Bürgermeisteramt. Überlange Frackschöße zieht er hinter sich her als Sinnbild für die Seriosität seines mediokren Amtes. Ein beflissener Ja-Sager, bewährt als dienstbarer Geist und Redenschreiber. Hinterlistig versorgt er die Bürgermeisterin und ihre Widersacherin mit derselben Trauerrede.

André Jung ist dieser Pilgrim, der einzige Leise unter den überdrehten „Empörten“, der manchmal ob der grassierenden Selbstgewissheit kluge Dinge einwirft wie: „Die Wahrheit braucht immer etwas um sich herum.“ Er selbst versichert glaubwürdig, keine oder alle Meinungen zugleich zu haben. „Die eine Meinung zerschlägt die andere. Ständig.“ Und deshalb stecke „die ganze Welt in mir drin … in mir steckt alles, und nichts verträgt sich“. Ausgerechnet dieser zum Totlachen mediokre Geist wird dann über die „Unheimischen“ reflektieren und er endeckt „den kleinen Faschisten“ in sich, was ihm ehrlich Angst macht. André Jung hat das schauspielerische Format, in kleinen Gesten, mit wie beiläufig servierten Sätzen die sonst in dieser Aufführung vorherrschende aufdringliche Geradlinigkeit zu brechen. Zuletzt wird er hocken bleiben auf der Stehleiter, hilflos das Kreuz in der Hand haltend, das er hätte herunternehmen sollen. Alte Werte taugen nichts mehr in der Umgebung der Populisten, sind nur mehr Versatzstücke.

Ein running gag ist die automatische Tür in der Glaswand hinter dem Eichenholz-getäfelten Bürgermeisterbüro, hinter dem heimische Bergmotive und Dorfidyllen mit Kirche (und einmal sogar einem Minarett in grüner Alpenlandschaft!) als Video vorbei ziehen. Für alle geht die Tür auf, nur Pilgrim rudert scheint's ohne jeden Erfolg gegen die Lichtschranke an. Die Vox populi, für die er steht, hat es eben nicht ganz leicht an den Einlässen ins Reich der der selbsternannten Tribunen...

Im überdrehten Gesamtbild dieser Aufführung ist aber wenig Platz für Hintersinniges, das zwar im Text vorhanden, aber auf der Bühne eher niedergeredet und weggestikuliert wird. Vielleicht wären Die Empörten einen Zweitversuch wert – regiegeführt mit spitzer Klinge der Ironie und nicht mit Holzhammer und Humorkeule.

Das Publikum der Uraufführung im Salzburger Landestheater hat nicht gespart mit Beifall für die Schauspieler, war deutlich zurückhaltender gegenüber der Autorin (man hörte einige Buhrufe), für die nach einer Verbeugung auch schon Schluss war mit dem Beifall.

Aufführungen bis 29. August im Landestheater – www.salzburgerfestspiele.at
Premiere in Stuttgart: 20. Jänner 2010 – www.schauspiel-stuttgart.de
Bilder: SF / Ruth Walz

 

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