Modern ist der Rahmen, sehr alt die Bewegung
FESTSPIELE / SIMON BOCCANEGRA
16/08/19 Große Oper im Großen Festspielhaus. Giuseppe Verdis Simon Boccanegra, beeindruckend gesungen und effektvoll musiziert, übersteht auch eine Regie, die zwischen modischer Interpretation und altbackenem Stehtheater pendelt. Zumal das Bühnenbild einen blendenden Rahmen für die Familien- und Staatstragödie abgibt.
Von Gottfried Franz Kasparek
Harald B. Thor errichtete eine perfekte Eingangshalle zu einem Repräsentationsgebäude von heute, in sanften Brauntönen, mit einem turmähnlichen Stiegenaufgang samt Balkon. Die Natur, die im Stück eine Rolle spielt, kommt nur als Zitat vor, als eine Art grüner Insel im Betonglanz und als schmaler Blick aufs weite Meer. Dieser Rahmen nützt die weite Fläche hervorragend aus, wirkt in seiner gestylten Kühle pompös, wie ein Tempel der Adelsrepublik Genua. Bezüge zu unserer Zeit liegen auf der Hand. Keine Frage, dass Kostümbildnerin Tanja Hofmann auf den Politiker-Dress der Gegenwart setzt, nur der Doge Simon darf sich einmal in einen rotbraunen Mantel hüllen. Die einzige für die Handlung relevante Frau, Amelia, eine Gefangene des Feudalsystems und darum nicht so ganz in unsere gegenwärtigen Breitengrade passend, läuft in einem hellblauen Hauskleid herum, das sie erst bei der Hochzeit gegen Weiß tauscht. Ihr geliebter Gabriele passt sich dann auch der Konvention an, während er vorher die Lockerheit eines alternativen Politikers bevorzugt. Aber wenn man Doge wird …
Regisseur Andreas Kriegenburg hat die Botschaft des Stücks wohl verstanden. Dies beweist ein Interview mit ihm im Programmbuch. Es geht um die unselige Verquickung familiären Zwists mit missbrauchter Macht, es geht um die Friedensbotschaft, zu der sich der „Plebejer“ Boccanegra und der „Patrizier“ Fiesco erst im Angesicht des Todes durchringen. Die alten Parteien, die schon in der italienischen Renaissance nicht unbedingt etwas mit Arm und Reich zu tun hatten, gibt es ja heute noch, in anderer Färbung und Mischung. Auch die Massen, deren Verehrung für einen „Führer“ sich wandeln kann wie die Windfahne, sind nicht ausgestorben. Und was damals die Intrige mit Briefen war, sind heute Twitter und Co.
Folgerichtig, aber übertrieben bevölkern anfangs vor allem smarte Damen im Businesslook und Herren im Büroanzug mit Smartphones und Laptops die Bühne. Ihre Botschaften werden gar auf einen gottlob später aufgehenden weißen Vorhang im Prolog projiziert. Aber leider dürfen die Senatoren und Beamtinnen auch in die herrlich poetische Musik des Beginns hineinquatschen. Hinter dem Vorhang ereignet sich Marias, der Tochter Fiescos und Geliebten Boccanegras, stummer Tod. Ihr Kind wird als Amelia Grimaldi getarnt aufwachsen. Womit, nebenbei, sogar eine heute noch in Monaco herrschende, anno dazumal aus Genua vertriebene Dynastie ins Spiel kommt.
Leider erstarrt die Regie im ersten Teil in altmodischem Schreit- und Stehtheater. Modern ist der Rahmen, sehr alt die Bewegung. Mehr Aktion verlangt und erhält der zweite Teil, in dem manch eindrucksvolles Massenbild gelingt, aber auch unfreiwillig Komisches, etwa wenn der dem Tode nahe Titelheld sich auf ein Klavier legen muss. Dabei dachte man, das Klavier habe als zeitgeistiges Requisit in Opern, zu deren Handlungszeit eher eine Laute angebracht wäre, schon ausgedient…
Immerhin vermag das Finale, vor allem wegen der Hauptdarsteller, endlich auch zu berühren. Luca Salsi, ein optisch passender und beherzt agierender Doge Boccanegra, hat einen sehr italienischen, leicht gedeckten, aber voluminösen Bariton anzubieten, der meist nur eine, allerdings sehr schöne lyrische Farbe verströmt. René Pape beweist als dunkel orgelnder, doch auch sehr differenziert artikulierender Sänger und formidabler Darsteller, wie gut sein deutscher Heldenbass auch an die ligurische Küste und in die Statur des Fiesco passt. Dies ist eine Oper der dunklen Stimmen. Der Franzose André Heyboer verfügt als Intrigant Paolo über einen virilen Charakterbariton, der es mitunter schwer hat, sich gegen die Klangwogen aus dem Orchestergraben durchzusetzen. Der junge Antonio di Matteo lässt als sein Handlanger Pietro viel versprechende Stentor-Basstöne hören.
Das Liebespaar, dem am Ende ja sogar ein Happy end vergönnt ist, lässt sich gut hören und sehen. Marina Rebeka setzt ihre silbern timbrierte, edle Sopranstimme mit klangvoll weichen Höhen meist lyrisch strömend ein und bemüht sich rechtschaffen um die liebende junge Frau zwischen endlich gefundenem Vater und eifersüchtigem Liebhaber. Letzterer ist der US-Tenor Charles Castronovo. Er spielt den Draufgänger Gabriele Adorno mit Verve. Im ersten Teil wirkt er stimmlich recht zurückhaltend, doch nach der Pause, besonders in der großen Arie, erblüht seine dunkel grundierte, ausdrucksvoll geführte Stimme zu leidenschaftlichen Passagen und strahlenden Höhen.
Auch Long Long in der kurzen Rolle des Hauptmanns lässt mit hellem Tenor aufhorchen. Marianne Sattmann (Amelia Magd) kommt aus den Reihen des Wiener Staatsopernchors, welcher, einstudiert von Ernst Raffelsberger, höchste vokale Qualität bietet. Die wohltönende Bühnenmusik stellt die Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker.
Ja, die Philharmoniker haben Simon Boccanegra natürlich „drauf“, ist dieses Werk doch fast ein Repertoirestück in der Wiener Staatsoper, natürlich in der Zweitfassung von 1881. Sie beherrschen den typischen Verdi-Klang in seiner tiefen Emotionalität und funkelnden Italianita, sie wissen, wie visionär der Komponist in diesem Stück des Übergangs bereits impressionistische Klangfarben ausgelotet hat, sie lassen das Finale des ersten Akts mit Recht in die Nähe einer „Boris Godunow“-Krönungsszene geraten. An dieser Tätigkeit werden sie vom versierten russischen Maestro Valery Gergiev nach – so hört man – nur drei Durchspielproben nicht wesentlich gehindert, obwohl die Lautstärken mitunter für die Sänger und die Sängerin bedenkliche Phonzahlen erreichen. Genuiner Verdi-Dirigent ist Gergiev keiner. Immerhin gewährt er diesmal zwischendurch schöne lyrische Inseln.
Das Premierenpublikum feierte die musikalische Seite des Unternehmens lauthals und gönnte dem Regieteam eher zurückhaltende, aber störungsfreie Achtung.