Babylonische Sprachordnung in der Lust-Hölle
FESTSPIELE / ORPHÉE AUX ENFERS
15/08/19 Nein, es ist nicht die erste Operette bei den Festspielen. Das war anno 2000 - auch schon Jacques Offenbach und La belle Hélène auf der Pernerinsel. Ein Jahr danach kam der legendäre Fledermaus-Schock. Jetzt also eine großteils umjubelte Premiere im Haus für Mozart: Orphée aux enfers. Zu Recht steht darunter im Programmbuch: „Orpheus in der Unterwelt“.
Von Gottfried Franz Kasparek
Denn Regisseur Barrie Kosky ist Besonderes eingefallen, was die bei Leuten aus mindestens elf Nationen auf der Bühne in jeder Sprache problematischen Sprechtexte betrifft. Max Hopp, der skurrile und gleichzeitig rührende Darsteller des Fährmanns in die Unterwelt, Hans Styx, synchronisiert auf Deutsch alle Texte aller Mitwirkenden, während diese nur ihre Lippen bewegen.
Soweit man das sehen kann, gelingt dies optisch perfekt. Max Hopp schafft es, allen von der derb-lüsternen Frühemanze Eurydike bis zum falsettierenden Transgender-Pluto (der war bereits 1858 in Paris ein Transvestit!) originelle Stimmen zu verleihen und wandelt als eben doch nicht stummer Diener durch die ganze Vorstellung.
Hopp kann auch herrlich schnurren und gurren und brummen und summen. Da er ein Mikroport hat, die Sängerinnen und Sänger aber nicht, ist die Balance zwischen deutschem Sprechen und französischem Singen manchmal problematisch. Er darf, während er sich erfolglos der drallen Eurydike annähert, auch sein köstliches Chanson „Als ich noch Prinz war in Arkadien“ deutsch darbieten. Max Hopp wird unversehens zum wahren Stern des Abends und am Ende am ausgiebigsten bejubelt.
Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper in Berlin und dort verdienstvoller Wiedererwecker der späten Revueoperetten eines Paul Abraham, hat nun also das geniale Urbild derselben mit unterhaltsamer Präzision und überbordender Buntheit gestaltet. Das höllische Treiben läuft ab wie ein exakt tickendes Uhrwerk. Die Geschichte wird erzählt, eher vulgär als sinnlich. Die Erotik wirkt mitunter pornographisch. Das ist bei Offenbach schon angelegt, doch der dem Stück ebenfalls immanente Esprit bleibt meist auf der Strecke. Die freche Parodie auf die große Oper und die Mythologie als Zeitkritik funktionieren. Im Prinzip bleibt alles im 19. Jahrhundert, trotzdem erinnert der absolutistisch regierende Jupiter an östliche Potentaten oder westliche Übersee-Präsidenten von heute.
Rufus Didwiszus zeichnet für einen bürgerlichen Salon, auf Erden und in der Unterwelt, sowie für farbenprächtige Höllenbilder samt Rad fahrendem Teufel verantwortlich. Viktoria Behrs Kostüme funkeln und glitzern, ganz wunderbar ist die Fliegenverkleidung Jupiters gelungen, stimmig wirkt Orpheus als Paganini-Kopie mit allzu vielen Geigen im Kasten und zu wenig Geist im Hirn. Kein Wunder, dass Eurydike als hemmungslose Bacchantin ein Dasein in der heiteren und genussvollen Hölle der faden Ehe vorzieht. Ein wesentliches Detail der Kostüme im Olymp und darunter sind offensichtliche Geschlechtsmerkmale. Der finale Can-Can wird natürlich gegendert, zündet aber traditionell, dank der rasanten Choreographie Otto Pichlers.
David Cavelius hat das Vocalconsort Berlin prächtig einstudiert, da sitzt jeder Ton auf Punkt und Komma. Der Dirigent Enrique Mazzola spornt die Wiener Philharmoniker zu knalliger Strahlkraft an. Das an Rossini geschulte, mitreißend offensive Brio der Musik erhält recht zackige Konturen – da sind Berliner Schnauze und Berliner Luft näher als Pariser Schick und Charme. Immerhin erfreuen die Holzbläser im ersten Teil mit balsamischen Soli, da kann es sogar ein wenig melancholisch werden im ansonsten sehr plakativ wilden Ehekrieg des beschränkten, aber egomanischen Künstlers Orpheus mit seiner frustrierten Frau. Vor allem, wenn sie melodramatisch stirbt, um endlich wirklich zu leben.
Kathryn Lewek stürzt sich mit unverfroren urweiblicher Laune in die aggressive Sexlust der Eurydike, mit vollem Körpereinsatz und wehenden schwarzen Haaren. Sie ist wahrlich ein Naturereignis. Den schönen Koloratursopran, den sie hat, verbirgt sie in den Couplets zugunsten pointierter Derbheit – aber im zweiten Teil erfreuen sicher gesetzte Silberhöhen. Joel Prieto, als Figur gut gezeichnet, singt den Orpheus mit nettem, lyrischem, eher kleinem Tenor. Die Rolle, nach der Pause nahezu nur mehr optisch und sich fataler Weise nach Eurydike umblickend unterwegs, ist ja nicht besonders dankbar.
Martin Winkler herrscht als dauergeiler Jupiter über seine groteske Götterwelt mit des Basses Grundgewalt und bietet die größte Stimme dieser Aufführung. Der feine Charaktertenor Marcel Beekman ist mit einer gewissen Eleganz der Transgender-Höllenfürst Pluto und auch in Schäferverkleidung samt ihn umschwirrenden Tanzbienen ein Vergnügen.
Frances Pappas mimt mit Würde die eifersüchtige Göttergattin Juno, Nadine Weissmann burschikos den Cupido. Sängerisch ragt aus der kurios gewandeten und frisierten Riege der Göttinnen Vasilisa Bezhanskaya als Diana mit geschärftem, hell timbriertem Mezzo heraus. Lea Desandre (Venus), Rafal Pawnuk (als orientierungslos herumirrender Kriegsgott Mars) und Peter Renz (Merkur) machen das Beste aus ihren Knallchargen. Das Tanzensemble ist schlicht und einfach brillant.
Ja, und da gibt es auch noch die als „Öffentliche Meinung“ im tiefschwarzen Habit einer hageren schwedischen Pastorin fingerzeigend und vergeblich eine Moral von der Geschicht’ suchende Anne Sofie von Otter. Ganz am Anfang redet sie schwedisch, sekundiert vom deutschen Übersetzer Max Hopp, der damit gleich die ersten Lacher erntet. Am Beginn des zweiten Teils singt sie eine romantische Liebes-Barcarole (eine andere als die aus „Hoffmanns Erzählungen“) und lässt dabei doch noch ihren unvergesslichen Mezzoklang leuchten.
Jubel und Trubel herrschen am Ende. Ein paar hartnäckige Buhrufer werden sozusagen „niedergebravot“.
Aufführungen bis 30. August im Haus für Mozart. Hörfunkübertragung am 31. August um 19.30 Uhr in Ö1 - www.salzburgerfestspiele.at