Zwei Roboter-Arme, Adam und Eva
HINTERGRUND / LILIOM
16/08/19 „Nein!“ Diese Antwort bekam die Schauspiel-Leiterin der Festspiele, Bettina Hering, als sie Kornél Mundruczó gefragt hatte, ob er Liliom auf der Halleiner Pernerinsel inszenieren wolle. Als Ungar, der mit den Werken und Figuren Ferenc Molnárs aufgewachsen ist, fühle er sich „viel zu nah am Autor“.
Von Anne Zeuner
Außerdem, so plaudert Kornél Mundruczó verhalte es sich mit Liliom wie beim Fußball – jeder glaube, er wisse, wie es geht, sagt der Regisseur beim PresseTalk auf der Perner-Insel in Hallein. Aber, um den legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky zu zitieren, der sagte: „Nur Narren ändern ihre Meinung nicht.“ Bettina Hering insitierte, und so ist schließlich doch Mundruczó der Regisseur geworden. „Ich denke er ist genau der Richtige, um Liliom heute zu inszenieren, ohne plakativ zu werden“, sagt Bettina Hering.
In Zeiten von #MeToo-Debatten sei es besonders komplex, aber auch wichtig, ein Stück wie Liliom zu zeigen. „Liliom ist eine sehr provokante Figur, es ist ein extrem schwieriges, sehr bekanntes, radikales und provokantes Stück; heute noch mehr als etwa vor zwanzig Jahren“, sagt Kornél Mundruczó. Liliom stehe als Sinnbild für die Frage, ob man geliebt werden könne, wenn man doch auf der anderen Seite gewalttätig sei und Missbrauch begehe. Es gebe keine schwarz-weiß-Antwort darauf. „Auch Molnár selbst gibt uns keine.“ Es gehe viel um Vergebung und Verzeihung in diesem Stück. Die #MeToo-Debatte beführworte er im Übrigen und vergleicht sie mit der Feminismusbewegung der 1960er Jahre. „Das ist eine wichtige Kraft, um diese verrückte maskuline Welt zu verändern“, sagt der Regisseur.
Schnell habe man sich geeinigt, die Fassung von Alfred Polgar zu zeigen. Polgar habe stark ins Stück eingegriffen und ein österreichisches Stück daraus gemacht. „Wir haben seine Version genommen und wiederum an unsere heutige Zeit angepasst“, sagt Mundruczó. „Wir haben zum Beispiel die Himmelszene umgeschrieben.“ Liliom sei durchaus eine Figur, die Verantwortung übernehmen könnte, wirft Bettina Hering im gespräch ein. Seine Sozialisation aber stehe dem entgegen. „Niemand kann hier gewinnen“, sagt Mundruczó. Es sei symptomatisch für unsere Zeit, dass jeder ständig Entscheidungen treffe. Es gebe keine Rast und Ruhe mehr, in jeder Sekunde müsse man sich im modernen Leben entscheiden. Liliom sei dafür das anschaulichste Stück, das er je inszeniert habe, so der Regisseur.
Dass er das Stück nicht mit österreichischen Schauspielern besetzt habe, sei keine Erschwernis. Dies gebe ihm im Gegenteil etwas mehr Freiheit, erklärt der Regisseur. Die Beziehung zwischen Julie und Liliom stehe im Fokus. „Dabei haben wir die Schauspieler nicht typisierend ausgesucht“, sagt Kornél Mundruczó. „Jörg Pohl als Liliom ist bei uns nicht nur dieser gefährliche Macho-Typ, sondern auch eine Art Clown.“ Und auch Julie, gespielt von Maja Schöne, sei keine naive Zwanzigjährige. ;an habe sich bewusst für eine etwa Vierzigjährige Frau entschieden. Auch die Dreiecks-Beziehung mit Frau Muskat (Oda Thormeyer) interessiert den Regisseur sehr, der betont, die Schauspieler seien am wichtigsten: „Das Stück kann nur mit richtig guten Schauspielern gelingen.“
Liliom in Armut darzustellen interessiere ihn weniger als die Tatsache, dass Liliom sich selbst als Künstler sehe. „Wir nutzen mehr diesen Hintergrund und den damit verbundenen Mangel an Grenzen als eine fake-Darstellung von Armut auf der Bühne, vor der ich Angst habe.“
Dass er kein Deutsch spricht, sieht Mundruczó nicht als Problem. „Ich verstehe Deutsch und ich verstehe den Text“, sagt er. „Schauspieler sind Schauspieler, es ist wenig Unterschied, ob man in den USA, in Ungarn oder im deutschsprachigen Raum inszeniert.“ Die Sprache sei überschätzt. Ein Schauspieler nutze ja auch Gefühle, Körpersprache und viele andere Aspekte, um etwas zu vermitteln.
Liliom ist eine Ko-Produktion mit dem Thalia Theater in Hamburg, daher habe man beim Bühnenbild für die Aufführung auf der Pernerinsel nach einem „Zauberkasten“ suchen müssen, der in beiden Theatern funktioniert, obwohl sie so unterschiedlich sind. Zu sehen sind Roboterarme, die die Erinnerung, in die Liliom hineintaucht, szenisch umsetzen können. Es sei für ihn unerwartet im Probenprozess gewesen, dass diese Arme eine eigene Ästhetik und Poesie entwickelt hätten, sagt Kornél Mundruczó. „Es war von Anfang an meine Absicht, die Arme einzusetzen, aber ich habe mehr bekommen, als ich gedacht habe. Sie sind menschlich und göttlich zugleich, haben eine Persönlichkeit, sind manchmal aggressiv und manchmal zart“, sagt er. „Am Beginn der Proben hießen die Arme nur ‚rechts‘ und ‚links‘. Mittlerweile nennen wir sie ‚Adam‘ und ‚Eva‘.“