Dem Teufel den Marsch blasen
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI
14/08/19 Tuba mirum einmal anders: Die Hölle wird leer gepustet sein. Zumindest wenn Riccardo Muti die armen Seelen aus dem Fegefeuer herausführt, wird im Himmel kein Auge trocken und der arme Teufel an den leeren Schwefel-Pfühlen sitzen bleiben. Erlösung ist angesagt: Libera me, Domine. Und besagter Herr wird sich nicht trauen, kein Erbarmen zu haben.
Von Heidemarie Klabacher
Giuseppe Verdis Messa da Requiem, von den Salzburger Festspielen gewidmet dem Andenken an Herbert von Karajan zum 30. Todestag, in der Lesart von Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker, war eine fulminante konzertante Oper voll fauchender Furien, dröhnender Kriegstrommeln, einschlagender Blitze und verzweifelt Flehender. War aber auch eine Weihestunde sakralen Charakters mit leisen Geschichten von Hoffnung und Versöhnung. Wenn der Tenor „Opfer und Gebete“ auf die schlichte und bewegende Melodie des Hostias darbringt, will das (weil entweder zu fromm oder zu sinnlich) weder in die Oper noch in die Messe passen: Es erzählt vielmehr davon, dass es nach dem Tod vielleicht doch noch irgend etwas und irgendwen gibt, mit dem man sich gut stellen will: Überm Sternenzelt muss einfach ein milder Vater wohnen, zusammen mit dem Sohn – Pie Jesu Domine.
Solcher Stellen, die über den Kategorien „weltlich“ oder „geistlich“ stehen, gibt es viele in Verdis Requiem. Wenn gegen Ende der Sopran im quasi archaischen Sprechgesang um die Befreiung vor dem ewigen Tod an jendem furchtbaren Tag fleht – in die illa tremenda – dann ist das ein archtypisches Beschwören von Ängsten, die keine Konfessionen oder Kulturen kennen oder brauchen, um den Menschen zu beuteln: Riccardo Muti verleiht der Musik die richtige Intensität, die sie dem Zuhörer an die Nieren gehen, bewahrt sie aber auch genau vor jenem Zuviel, das sie in plakatives Getöse abdriften lässt.
Das Solistenquartett dieser Jahrhundertaufführung: Krassimira Stoyanova, Sopran, mit strahelnder Höhe, Anita Rachvelishvili, Mezzosopran, mit geradezu wundersamen Pianissimi in ihren hohen Lagen, der unvergleichliche Francesco Meli Tenor und Bassist Ildar Abdrazakov. Die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor vermittelte souverän Farbe und Dramatik.
Selbst in den dramatischen Passagen versteht man von diesen himmlischen Heerscharen jedes Wort: Wie kein zweiter weiß Riccardo Muti die Solisten auf Händen zu tragen. Noch im wildesten Getümmel des Dies irae ebnet er den Stimmen, auch jenen des Chores, Bahn. Er ermöglicht klare Linien und präzise Phrasierung. Die stillen Passagen betören mit purer Klangschönheit. Unvergleichlich etwa die Phrase des Tenors mihi quoque spem dedisti mit der flehenden Betonung auf dem „quoque“ - Gib auch mir Hoffnung. Oder das im feinsten piano erstrahlende Lux aeterna des Mezzos: Solches Licht wird ewig leuchten.