Rotzgrün und rotzfrech
FESTSPIELE / MARATHONLESUNG ULYSSES
09/08/19 „Ein Hexensabbat des Geistes, ein gigantisches Capriccio, eine phänomenale zerebrale Walpurgisnacht. Ein Film psychischer Situationen, sausend und flirrend im Expreßtempo… ein Doppeldenken, ein Tripledenken, ein Übereinander-, Durcheinander- und Quernebeneinander-Fühlen aller Gefühle, eine Orgie der Psychologie, mit einer ... Zeitlupe begabt, die jede Bewegung und Regung in ihre Atome auflöst.“
Von Heidemarie Klabacher
Das schrieb Stefan Zweig 1934 in seinen Anmerkung zu Joyce's Ulysses. Und man kann ihm nur recht geben: „Es ist etwas Heroisches in diesem Buche und zugleich etwas, das die Kunst lyrisch parodiert, also echt und recht ein Hexensabbat, eine schwarze Messe, in der der Teufel den heiligen Geist auf die allerverwegenste, alleraufreizendste Weise äfft und mimt: aber ein Einmaliges, ein Unwiederholbares, ein Neues.“
Mit dem Ulysses ist nicht fertig zu werden. Mit dem Lesen jedenfalls nicht. Mit Vor-lesen-Lassen durchaus. 31 CDs umfasst die 2012 im Hörverlag erschienene ungekürzte Lesung mit einer Gesamtlaufzeit von 38,9 Stunden. Das geht sich bei den Festspielen beim besten Willen nicht aus. Immerhin war die am Donnerstag (8.8.) die Marathon-Lesung von 19 Uhr bis ein Uhr morgen veranschlagt.
Aber Burghart Klaußner, dessen „Lesart“ man von der CD so sehr schätzt, dass man den Tonfall nie wieder aus dem Ohr kriegen wird, las auch im Landestheater etwa aus Telemachos, dem ersten Kapitel, und ließ alldort den Auftritt von Buck Mulligan mit Seifenbecken und Rasiermesser zum farbenprächtigen Ereignis werden. Volker Bruch, Corinna Harfouch und Birgit Minichmayr lasen zusammen mit Burghart Klaußner die von Schauspiel-Leiterin Bettina Hering klug und abwechslungsreich eingerichtete Festspielfassung des Ulysses – und vermittelten mit genau gar keinen theatralischen Mitteln hoch theatralische Effekte.
„Mr. Bloom blieb an der Ecke stehen, und seine Augen wanderten über die vielfarbigen Reklameanzeigen. … Clery's Sommerausverkauf. Nee, er geht geradeaus weiter. Hallo! Leah heute abend: Mrs. Bandman Palmer. Die säh' icbh ganz gern mal wieder darin. Gestern hat sie den Hamlet gespielt, Hosenrolle. Vielleicht war er ja auch eine Frau. Warum beging Ophelia sonst wohl Selbstmord...“
James Joyce war nichts heilig, schon gar nicht das Heilige. Es hat daher auch Skandal genug gegeben um das ungelesenste aller ungelesenen Bücher. Und das ist erhellend. Es gibt ja nicht einmal eine eindeutige Ausgabe. Stefan Zweig etwa redet von 1500 Seiten und greift damit eher hoch. Ein anderer Autor redet von 730 Seiten. Selbst wenn engbedruckt ist das tief gegriffen. Die gängige deutsche Ausgabe im Suhrkamp Verlag umfasst 987 Seiten. Dort heißt es im Nachwort: „... alle Ausgaben des Originals sind unverhältnismäßig korrupt...“
Wenn das nicht für das Buch spricht! Auch wenn die Schreiberin dieser Zeilenn, weil sie noch zum Liederabend musste, nur einen Bruchteil der Marathon-Lesung eines Bruchteils des „korrupten“ Textes erleben konnte, war der Eindruck im Landestheater denkbar farbig. Höchst animierend, es wieder mal mit dem Buch zu versuchen.
Bild: SF / wildbild
Zum Bericht über die Installation Joyful Joyce
Über ein Gewitter der Literaturgeschichte