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Der Untergang findet statt

FESTSPIELE / SOMMERGÄSTE

01/08/19 Warum man sich für die gemischte Gruppe von gut situierten, aber zutiefst unglücklichen  Menschen, die sich im Sommer auf einer großen Datscha treffen, interessieren soll, wird nicht klar. Sommergäste von Maxim Gorki hatte am Mittwoch (31.7.) in Hallein auf der Perner-Insel Premiere. Sie könnten zufrieden sein, sind es aber nicht...

Von Werner Thuswaldner

Will Regisseur Evgeny Titov zeigen, wie roh, wie ungebildet die Leute mit kaum einer Ausnahme sind, ohne irgendwelche Interessen? Es sind nicht abgehalfterte Adelige, die einer untergegangenen Welt nachtrauern, es sind Bürger ohne Klassenbewusstsein, ohne Ideale. Sie begeistern sich für nichts, weder für neue Errungenschaften der Technik, noch für Durchbrüche in Kunst und Kultur, und schon gar nicht für neue politische Konzepte.

Ja, es gibt einen Schriftsteller, aber der ist eine traurige Figur, untauglich, ein Ideal zu verkörpern. Es ist eine geistlose, rohe Gesellschaft, damit beschäftigt, ihre dumpfen Triebe auszuleben. Dass Arbeit ein Ausweg aus de Sinnlosigkeit wäre, dämmert dem einen oder der anderen. Ihre Geistlosigkeit brüllen sie in voller Lautstärke hinaus. Nuancierungen kommen nicht vor. Dialoge gibt es nicht, man brüllt einander an.

So jedenfalls stellt der Regisseur Evgeny Titov die Gorki'sche Gesellschaft dar. Große Schauspielkunst zu entwickeln, hat das bunt zusammengewürfelte Ensemble, damit ausgelastet, die Sinnlosigkeit des Lebens zu bejammern, kaum Gelegenheit. Erst gegen Schluss, wenn die Stimmen ausgeschrien sind, wird es ein bisschen ruhiger.

Kennenlernen konnte man die Sommergäste in den siebziger Jahren ganz anders. Peter Stein zeigte damals mit einer Gruppe denkwürdiger Schauspieler (Bruno Ganz, Edith Clever, Otto Sander, Jutta Lampe) wie viel an poetischer Qualität dem Stoff abzugewinnen ist. Melancholie und poetischer Zauber bestimmten den Ausdruck. Klar, dass dies nicht die Lösung für alle Zeiten sein konnte. Aber eine Alternative dazu hat Evgeny Titov nicht gefunden.  Bei ihm steht der gesellschaftliche Untergang nicht bevor, er findet bereits statt.

Titov war mit Gorkis Vorlage nicht ganz zufrieden. Einen Suizidversuch – der junge Mann Wlas, der glaubt, nicht in die Welt zu passen, schießt sich in den Bauch – setzt er an das Ende des Stücks, um für den Schluss einen starken Effekt zu gewinnen. Aber ganz genau das wollte Gorki nicht: Ihm ging es darum vorzuführen, wie wenig sogar ein Selbstmord in dieser verfaulten Gesellschaft bedeutet.

Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt stellt sich die Datscha mit hohen Fenstern und hohen strukturierten Holzwänden vor. Sitzgelegenheiten gibt es keine, nur Podien, mit Stufen hinauf und hinunter. Immerhin können sich die Räume weiten und verengen. Der Mode – den Kostümen von Andrea Schmidt-Futterer nach zu schließen – befinden wir uns in der Gegenwart. Es scheint sich um ein gewaltsames Mittel zu handeln, Aktualität zu erzeugen. Einmal wird gesungen, ein schlichtes Volkslied, und das wirkt wie in offenes Fenster in eine bessere Welt.

Das mit verschiedenen Akzenten gesprochen wird, stört nicht. Es wird, dem Konzept der Übertreibung folgend, professionell agiert. Denkwürdige, herausragende Leistungen sind nicht zu registrieren.

Einen Haltepunkt im Trubel gibt Genija Rykova, gebürtige Russin aus Irkutsk, als unerbittliche Warwara Michajlowna die an ihrer Kinderlosigkeit leidet. Ihr Mann, der kriminelle Rechtsanwalt als Sergej Bassow, gespielt von Primož Pirnat, glaubt, mit Macho-Gehabe über die Runden zu kommen. Thomas Dannemann ist der ausgebrannte Schriftsteller Schalimov: Auch er glaubt mit Resten hohl gewordener Männlichkeit immer noch punkten zu können. Martin Schwab umklammert als reicher Onkel einen Packen Geldscheine, die aber nicht helfen, seine Senilität zu mildern. Als Beispiel dafür, wie einen als Zuschauer übertriebene Exaltiertheit zur Verzweiflung treiben kann, gibt Dagna Litzenberger Vinet. Während sie sich in einem fort tänzerisch bewegt, lüpft sie verführerisch (?) das Kleid.  

Sommergäste – sieben Vorstellungen bis 8. August auf der Perner-Insel – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Monika Rittershaus

 

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