Seitenblicke-Oper mit Todesfolge
FESTSPIELE / NETREBKO
29/07/19 Anna Netrebko in der Rolle der armen talentierten Schauspielerin Adriana Lecouvreur, die von einer adeligen Rivalin aus Eifersucht vergiftet wird: Jubel über Jubel und das ganz zurecht. Keine zweite stirbt mit solch glasklarem Todeseufzern. Dabei ist die „Netrebko-Show“ heuer eine „Netrebko-Rachvelishvili-Show“.
Von Heidemarie Klabacher
Wenn es wirklich nur um die Phonstärke ginge, wäre Anita Rachvelishvili eindeutig Siegerin: Die georgische Mezzosopranistin singt mit ihrem an allen großen Opernhäusern der Welt gefragten und bejubelten Organ beinah eine Netrebko an die Wand. An die Wand spielt sie – zumindest in der Rolle der mächtigen Principessa di Bouillon – die Konkurrentin aus dem verachteten Stand der Schauspieler ohnehin. Einfach, weil die Fürstin mehr Erfahrung in der Intrige hat. Die reife Principessa ist eine Art Schutzherrin der politischen Ambitionen von Maurizio, conte di Sassonia. Dieser war ihr jugendlicher Liebhaber, bevor ihm Adriana auf den Weg lief. Selbige ist ein naives Tschapperl und zahlt die Rechnung der Großen: Genau, wie ihr getreuer Lehrer und Mentor Michonnet vorausgesagt hat...
Nicht genug danken kann man den Festspielen jedes Jahr wieder für die Reihe der konzertanten Opernaufführungen, welche Kostbarkeiten und Raritäten bringt, die man sonst niemals kennen lernen würde. Adriana Lecouvreur ist das 1920 ein klein wenig aus der Zeit gefallene Commedia-dramma von Francesco Cilea (1866-1950) auf das Libretto von Arturo Colautti nach dem Schauspiel Adrienne Lecouvreur (1849) von Eugène Scribe und Ernest Legouvé. Das wirklich besondere an diesem Drama um Liebe, Verrat und Mord aus Eifersucht ist, dass die Geschichte einen realen historischen Hintergrund hat. Die echte Adriana Lecouvreur, Tochter eines Hutmachers und einer Wäscherin, war eine bejubelte Tragödin der Pariser Comédie-Francaise. Sie starb am 20. März 1730 mit 38 Jahren. Die Kirche verweigerte der „von Berufs wegen Exkommunizierten“ ein ehrenvolles Begräbnis in geweihter Erde. Und das unbestätigte Gerücht lautete, dass die – historische – Herzogin von Bouillon die Lecouvreur als Konkurrentin um die Gunst des – ebenfalls historischen – Fürsten Moritz von Sachsen vergiftet habe. Kein Wunder, dass dies ein Theater- und später ein Opernstoff wurde. Nur die Altersverhältnisse der Rivalinnen waren andere, die Fürstin war mit 23 deutlich jünger als die Schauspielern.
Das alles ist mindestens so spannend, wie die konkrete konzertante Aufführung am Sonntag (28.7.) im Großen Festspielhaus, in der. mit wenigen Ausnahmen, vor allem laut gesungen wurde. Über die immer prächtiger sich entwickelnde Stimme Anna Netrebkos werden zurecht Abhandlungen geschrieben: Als Adriana Lecouvreur brachte sie alle singulären Qualitäten dieser Jahrhundertsimme zum Funkeln und schenkte denen im Publikum, die so was zu schätzen wissen, auch kostbare Augenblicke zartesten Pianissimos in überidrischen Lagen.
Mit sowas hält sich Anita Rachvelishvili als La principessa di Bouillon gleich gar nicht auf. Die Mezzosopranistin fegt wie eine Urgewalt alles und alle hinweg. Das Organ ist farbenreich, kann geschmeidig geführt werden und warm klingen, technisch waren mehrere Brüche in den Lagenwechseln zu hören. Sowas würde wiederum einer Netrebko nicht passieren. Zwischen diesen beiden Ur-Gewalten hatte sich Yusif Eyvazov als Maurizio, conte di Sassonia zu behaupten. Es gelang ihm mannhaft mit schönen tenoralen Momenten.
Ab jetzt eine absolute Lieblings-Opern-Figur der Rezensentin ist Michonnet aus Adriana Lecouvreur. Michonnet ist der getreue Lehrer und Vertraute des Wäschermädels Adriana. Nicht wie die meisten Tenore eitel in sich selbst verliebt, liebt dieser Getreue selbstlos und wahrhaftig und unbedankt. Bariton eben. Die berührendste Stelle in der Oper ist denn auch jene, in der Michonnet, welcher Adriana gegenüber schon fast einmal einen Heiratsantrag gewagt hätte, der Geliebten ein verpfändetes Schmuckstück zurück schenkt. Mit welchen Mitteln, fragt Adriana. Michonnet erinnert an eine jüngst gemachte Erbschaft. „Und die Heiratsabsichten“, fragt die Ahnungslose. „Verpufft. Das ist nicht meine Bestimmung“ - „In fumo. No era il mio mestiere...“
Hier und an einigen anderen Stellen konnte man auch sehr gut das Mozarteumorchester unter der Leitung von Marco Armiliato wunderschön und delikat spielen hören. Adriana Lecouvreur ist musikalisch spätromantisch, sängerfreundlich und voller kundig instrumentierter Effekte. Es handelt sich übrigens wohl das einzige Werk der Operngeschichte mit so viel realistischem und virtuos boshaft und stichelig vertontem Klatsch und Tratsch. Dieser ist auf mehrere, wie immer in Salzburg luxuriös besetzte Nebenrollen verteilt. Auch Mitglieder des Young Singers Project können sich in der konzertanten Oper profilieren.
Adriana Lecouvreur – zwei weitere Aufführungen am 31. Juli und am 3. August (letztere ausverkauft) im Großen Festspielhaus - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Marco Borrelli