Atemberaubend und bewegend
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / BLOMSTEDT
29/07/19 Der Tod steht unübersehbahr im Hintergrund der 1912 in Wien uraufgeführten Symphonie Nr. 9 D-Dur von Gustav Mahler - ein malerischer Tod, Krieg und Untergang unter dem Mantel verbergend, vielleicht sogar schon die Anhnung von einem zweiten Krieg mit Vernichtung und KZ. Die Wiener Philharmoniker unter Herbert Blomstedt überwältigten mit der Neunten Mahler.
Von Heidemarie Klabacher
Dass Gustav Mahler mit seiner Neunten den eigenen Tod komponierend voraus verarbeitet habe, ist dennoch fromme Legende – obwohl der Tod der fünfjährigen Tochter, die Diagnose eines schweren Herzfehles und nicht zuletzt die ständigen beruflichen Anfeindungen in der Wiener Hofoper den Komponisten aus allen Sicherheiten gewofen hatten: Er müsse „nun am Ende eines Lebens als Anfänger wieder gehen und stehen lernen“, schreibt Mahler 1908. Dass der Komponist in den Jahren nach den persönlichen Katastrophen dennoch keineswegs resigiert, sondern, im Gegenteil, kämpferisch um einen neuen Tonfall in seiner Musik gerungen habe, findet die Forschung langsam heraus.
Der zweite Satz der Neunten – Im Tempo eines gemächlichen Ländlers. Etwas täppisch und sehr derb - in der Lesart von Herbert Blomstedt am Pult der Wiener Philharmoniker im Großen Festspielhaus war genau das: plumpe Jahrmarkts- und schrille Tanzbodenmusik, ein lautstark polterndes Triumphieren des Pöbels. An Stammstischen mag das heute noch/wieder so klingen.
Dieser Satz mit seinen virtuos hingestampfen Ländler- und Walzer-Persiflagen wurde von Herbert Blomstedt und den „Wienern“ mit distanzierender Ironie da und dort noch ein wenig versöhnlich gefärbt, während der dritte Satz – Rondo-Burleske. Allegro assi. Sehr trotzig – von schierer Gefahr für Leben und Verstand erzählte.
Der Maestro schien mit sparsamsten Bewegungen und scheinbar nur hingetupften Impulsen willfähriges Volk in den Abgrund zu führen. Das kurz aufleuchtetende Idyll sanfter Meldodik war nichts anderes als der Blick ins Gelobte Land, der einem Sterbenden gegönnt wird, oder der einer „Minderheit“ bevor ein aufgehetzter Mob sie in den Abrund aus Frechheit, Hass und Tod stürzt. Gruselig.
Umso bewegener waren die Ecksätze, die, entgegen jeder Konvention, Oasen der Ruhe, der Hoffnung und Ergebung sind. Unmöglich, die zahllosen aufblühenden Soli und versönlichen Bläserchoräle zu schildern, die im ständigen Wechsel mit dunkeln unruhigen Motiven ein Bild der Welt darstellten. Der Schluss-Satz Adagio war in tatsächlich ein großes Absterben in Schönheit und Wahn auf einen einzgien großen vergehenden Atemzug. Blomstedt und die Wiener Philharmoniker habe da ein Monumentalgemälde in den Raum gestellt schwebend wie ein Aquarell und präzise wie ein Kupferstich. Atemberaubend und bewegend.
Herbert Blomstedt der jugendfrische Maestro von 91 Jahren wurde von den Wiener Philharmonikern tags zuvor (26.7.) „im Rahmen der Vorbereitungen für die gemeinsamen Orchesterkonzerte in Salzburg“ zum Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker ernannt, heißt es im „Philharmonischen Tagebuch“. Die Auszeichnung wurde vom Vorstand der Wiener Philharmoniker, Daniel Froschauer, überreicht. „Mit Maestro Blomstedt verbindet uns eine sehr intensive künstlerische Partnerschaft. Wir sind ihm auch persönlich sehr eng verbunden und für viele, außergewöhnliche Konzerterlebnisse dankbar.“ – Das dankbare und überwältigte Publikum auch.
Der Dirigent ist 2011, im Alter von 83 Jahren, erstmals mit den Philharmonikern aufgetreten und hat die „Wiener“ seither regelmässig dirigiert, bei Abonnementkonzerten im Wiener Musikverein, bei den Salzburger Festspiele und bei Gastspielen in ganz Europa. Die Auszeichnung mache ihn „sehr stolz und dankbar“, wird Herbert Blomstedt im „Philharmonischen Tagebuch“ zitiert. Als Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker verspreche er seinen Kollegen, „künftig noch besser auf das zu hören, was alles im Orchester geschieht – musikalisch und darüber hinaus“. Er sei glücklich, ein Mitglied dieser Gemeinschaft zu sein und freue sich „auf die Fortführung unserer fruchtbaren Zusammenarbeit.“ – Das dankbare und überwältigte Publikum auch.