Die Schönheit der Klage
FESTSPIELE / STABAT MATER / JORDI SAVALL
28/07/19 Dem „Stabat Mater“, der Klage der unter dem Kreuz ihres Sohnes leidenden Mutter Maria, war das Konzert Jordi Savalls und seiner Ensembles in der Kollegienkirche amSamstag (27.7.) gewidmet. Renaissance und Barock trafen auf die Moderne. Ein Abend voll wunderschöner Trauer mit dramatischem Finale.
Von Gottfried Franz Kasparek
Ja, ein Klagegesang kann wunderschön, beseelt, ergreifend und erhebend sein. Marc-Antoine Charpentier hat um 1680 ein Stabat Mater pour des religieuses geschrieben, für ein Pariser Nonnenkloster, in dem seine Schwester lebte. Solostimmen, atmosphärisch verteilt auf Altarraum und Orgelempore, ein einstimmiger Chor, Basso continuo – mehr braucht es nicht, um balsamischen Trost zu erfahren. Der Meister des glanzvollen „Te Deums“ hat für den Nonnenchor ein schlichtes Strophenlied komponiert, getragen von einer berührend intensiven Melodie, ganz ohne Virtuosität und Klangzauber. Einfach ein tief empfundenes Gebet.
Darauf passte Luigi Rossis Fantasia über die Blumen des klagenden Orpheus aus der Oper L’Orfeo von 1647, ebenso wie später Jordi Savalls 2006 komponiertes Stück Planctus aus dem Zyklus Lachrimae Caravaggio, spirituellen Meditationen über Gemälde des Barockmalers. Zweimal instrumentale Meditationen über Tod und Erlösung jenseits von Zeit und Raum. „Le Concert des Nations“ spielte das mit wahrer Souveränität und Innigkeit. Erstaunlich, wie gut diesmal die Akustik der Kirche beherrscht wurde. Die spirituelle Weihe teilte sich durchaus in klanglicher Transparenz mit.
Es gibt Musik, die auf den seriellen Techniken der Schönberg-Schule beruht, sie mit ausgeklügelten Kanon- und Krebsformen verbindet – kurzum kunstvoll konstruierte und perfekt strukturierte Musik. Und wenn man dies nicht weiß und nicht wahrnimmt, hört man zum Beispiel ein Stück von Alban Berg und ist erschüttert von der emotionalen Kraft der Musik. Selbiges gilt für Arvo Pärts Stabat Mater für Sopran, Alt, Tenor, Violine, Viola und Violoncello aus dem Jahr 1985. Der Meister der neuen Einfachheit konnte so ausdrucksvoll zwölftonal schreiben, dass man die Technik gar nicht bemerkt. Es erklingt ein aus der Tiefe des menschlichen Herzens kommendes Gebet, das in seiner melodischen Archaik auf einen fein ziselierten Klangteppich der Streicher gebettet wird und in der Tat zum Himmel der Töne aufsteigt.
Nach Savalls eigenem Beitrag vereinigten sich die sieben Damen und Herren von „Le Concert des Nations“ mit den zehn Sängerinnen und Sängern von „La Capella Reial de Catalunya“ unter der Leitung des an diesem Abend meist dirigierenden Maestros, um ein kostbares Stück neapolitanischen Hochbarocks mit Verve, phänomenaler Tonschönheit und exquisiter Klangdramaturgie zu präsentieren. Domenico Scarlatti war 1719 noch nicht der am Laufband arbeitende Komponist von Klaviersonaten für iberische Prinzessinnen, sondern Kapellmeister im Petersdom zu Rom. Und, was man deutlich hört, der Sohn eines erfolgreichen Opernmaestros. Denn dieses zehnstimmige Stabat Mater ist grandios ausbalanciert zwischen meisterhaft beherrschter Kontrapunktik, vokaler Brillanz, geistlicher Empfindsamkeit und opernhaftem Ausdruck. Der danach berechtigt aufbrandende Jubel des Publikums wurde noch mit einem klingenden Friedensgebet bedankt.