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Plastikmüll und Seelenschrott. Fort damit

FESTSPIELE / IDOMENEO

28/07/19 Kein schrilles Umwelt-Aktivisten-Spektakel, sondern ein bewegendes Kammerspiel über Schuld, deren Eingeständnis und Vergebung: Mozarts Idomeneo in der Regie von Peter Sellars und unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis in der Felsenreitschule ist ein Jahrhundert-Wurf.

Von Heidemarie Klabacher

Der Königssohn Idamante soll ja ermordet werden, weil sein Vater Idomeneo im Sturm auf hoher See in Panik geraten ist und dem Meeresgott für seine Rettung ein Opfer versprochen hat – das erste lebendige Wesen, dem er an Land begegnen werde. Musste natürlich der Sohn sein.

Der mehr als obsolete Gedanke des Kindesopfers drängt in der Regie von Peter Sellars top-aktuell durch eine Hintertür ins Bewusstsein: Wir Erwachsenen von heute „opfern“ unsere Kinder und Enkelkinder. Opfern deren Zukunft auf dem Altar rücksichtsloser Ausbeutung der Erde und deren Ressourcen zu unser aller Luxus und Bequemlichkeit. Wenn die Jungen dagegen protestieren, machen wir sie lächerlich oder kriminalisieren sie. Das ist einer der aktuellen Gedanken-Gänge, die Peter Sellars durch Stiche mit feinster Regie-Klinge in Herz und Hirn zu öffnen weiß.

Ein anderer: Das Meer ist ein lebendiges Wesen, von dessen Wohlergehen wir alle abhängig sind, auch wenn „wir“ zufällig nicht auf einem versinkenden Inselstaat im Pazifik leben. Das Meer ist ein lebendiges Wesen, das wir ausbeuten, bekämpfen und zu zerstören trachten – und das sich mit allem Recht und letzter Kraft gegen seine Vernichtung wehrt.

All diese „Aktualisierungen“, mehr der eigenen Wahrnehmung, denn des mozart'schen Meisterwerks, bewirkt diese Produktion mit quasi indirekten Mitteln, subtil und ohne Spektakel, das dem Werk weh tun würde. Bei Peter Sellars steigt denn auch kein grün-geschupptes Ungeheuer mit Dreizack aus dem Meer, wenn auf Kreta, in Idomeneos Reich, Schwüre gebrochen werden. Es ist eine Szene, die an Unheimlichkeit und immanentem Grauen einzigartig ist, wenn sich Idomeneo endlich dem Gott und seiner Verantwortung stellt – und giftig blaue Schlieren aus dem Nichts zu entstehen scheinen und sich in großer Höhe langsam bis in den Zuschauerraum ausbreiten. Ein genialer Licht-Effekt von James F. Ingalls, aber auch ein genialer psychologischer Effekt von Peter Sellars: Schuld an der brutalen Selbstverteidigungs-Strategie des Meeres sind wir alle. Besonders wir „reichen“ Europäer, die wir uns den Genuss einer Festspielaufführung von Idomeneo in Salzburg glauben „leisten“ zu können.

Die Bühne von George Tsypin ist im Grunde ein offener Raum, der von versenkbaren Lichtsäulen und zahlreichen glaszarten Objekten strukturiert wird. Diese Glas- oder halt Plastk-Menagerie stellt überdimensionales Meeresplankton dar, Plastikmüll oder Hybride aus beidem. Zunächst liegen die Objekte als Strandgut auf dem Boden, also an den Gestaden Kretas. Dann schweben sie hoch oben im Raum, also unter der Meeresoberfläche: Das wirkt dann, als wäre alle Welt längst untergegangen.

Eine dritte Aktualisierung ist eine direkte Anspielung auf die Flüchtlingskrise: Die gefangene trojanische Prinzessin Ilia hat sich mit einer Gruppe Migranten einer Flüchtlingskommission am Grenzzaun zu stellen (irgendwer hat auch auf Kreta eine Balkanroute geschlossen). Die beiden Maschinengewehr-Träger verschwinden (und damit die einzige konkrete Anspielung auf modernen Krieg), nachdem Prinz Idamante die Schutzsuchenden als freie Menschen ins Land aufgenommen hat.

Von wegen „Prinz“ oder „König“: Die Kreter tragen kollektiv hellblauen, die frisch integrierten Trojaner kollektiv rosa-orangen Tarnanzug. Die Herrscher und deren Stab gehen hochdekoriert in Uniform. Die Kostüme von Robby Duiveman sind also zeitlos: Ilia, trojanische Prinzessin, legt den Tarnanzug ab und geht als Mädchen von nebenan in die Konflikte. Die Prinzessin Elettra, ebenfalls ein Flüchtling des trojanischen Krieges, aber halt aus griechischem (und von den Göttern verdammten) Adelsgeschlecht, ist dem Prinzen verlobt. Sie geht damenhaft schlicht gekleidet in den Tod durch Raserei aus Blutschuld und Eifersucht. Der Sopranistin Nicole Chevalier und ihrem Rasen haben die Kreter einen ausgewachsenen Meerssturm und das Publikum eine atemberaubende Wahnsinns-Szene zu verdanken: Nicole Chevalier steht für den sängerischen Höhepunkt dieses Abends - einer Aufführung, die fast nur aus sängerischen Höhepunkten besteht.

Wieviel „Mozart“ fehlt – habe ich die schöne Arie des Arbace überhört? – müsste durch Mitlesen der Partitur ermittelt werden, ist aber erstaunlicherweise nebensächlich. Die mehrmalige Abreise Idamantes und Elettras ins Exil, in den Selbstmord oder sonstwohin? Flucht vor sich selbst und den eigenen Lügen... Da kann man ruhig großzügig darüber hinwegsehen. Die Zusammenarbeit von Peter Sellars und Teodor Currentzis hat ein Gesamtkunstwerk von stupender Geschlossenheit und der Sogkraft eines Malmstroms ergeben.

So glasklar, energiegeladen und griffig die Regie, so glasklar, energiegeladen und griffig die Musik: Teodor Currentzis und das Freiburger Barockorchester spüren in Mozarts Partitur feinste Effekte auf, die man bislang selbst in den besten Aufführungen noch nicht mit bekommen hat – besonders in den Accompagnato-Rezitativen, vor allem wegen der Strahl- und Farbkraft des prominent eingesetzten Hammerklaviers. Wer auch immer Hammerklavier gespielt hat: Er oder sie machte Rezitativ und Rondo des Idamente Ch’io mi scordi di te? Non temer, amato bene KV 505, also die berühmte „Einlage-Arie“ (fünf Jahre jünger als die Oper), zu einem weiteren Höhepunkt. Die Sopranistin Paula Murrihy überwältigt mit Strahlkraft und Ausdrucksstärke bei größter Leichtigkeit in der Stimmführung. In der Attacke der Verzweiflung wie auch in den lyrischen Szenen mit den beiden Damen: Ihr Idamente scheint der letztlich ja doch verschmähten Elettra bis zu deren bitteren Ende näher zu stehen, als viele „seiner“ Vorgänger. (Ein so elegantes Liebesspiel wie zwischen Elettra und Idamante muss man erst mal auf die Bühne bringen, wie das zu Elettras wunderbarer manipulierender Verführungsarie Idol mio).

Die Glanzlichter des sängerischen Gefunkels setzt die wunderbare Ying Fang als Ilia mit größter Intensität bei größter Leichtigkeit. Ihre beiden Arien – Begrüßung des Königs und neuen Vaters und die Bezauberung der Zefiretti lusinghieri rahmen gleichsam die Oper. Ying Fang vergoldete diesen Rahmen mit überwältigendem Schimmer.

Russell Thomas in der Rolle des Idomeneo schien bei der Premiere am Samstag (27.7.) mit Stimmproblemen zu kämpfen, legte aber etwa in dem zentralen Quartett im dritten Akt den „jungen Leuten“ mit ihren bohrenden Fragen eine farbenreiche Klangbasis. Levy Sekgapane als Arbace und Issachah Savage als Gran Sacerdote sind für die Kleinheit der Partien luxurios besetzt. Jonathan Lemalu verängstigt als La voce und beruhigt letztlich als versöhnlich väterlicher Nettuno mit profunder Tiefe und reichem Timbre.

Der Chor hat eine zentrale Rolle als Volk, das die Torheit der Großen zu zahlen hat: Der musicAeterna Choir of Perm Opera in der Einstudierung von Vitaly Polonsky ist grandios. Das Schlussballett wird – aus heiterem Himmel und stilistisch ein wenig willkürlich wirkend – durch ein samoanisches Tanzritual ersetzt. Dieses stehe, kann man nachlesen, „für Reinheit Ehrfurcht, Wahrheit und Rückker zur Harmonie“. Das kann nie schaden und es war eine große Freude, die wunderschöne Tänzerin, Brittne Mahealani Fuimaono, Modell, Sozialarbeiterin und Missionarin, zu erleben.

Wann ist die nächste Aufführung? Sofort wieder hin!

Idomeneo – sechs Aufführungen in der Felsenreitschule bis 19. August – www.salzburgerfestspiele.at
Idomeneo wird von Servus TV und UNITEL in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen aufgezeichnet und wie folgt ausgestrahlt: 15. August um 21.15 bei Servus TV sowie bei den Siemens Festspielnächten am 15. und 23. August um 20 Uhr
Bilder: SF / Ruth Walz

 

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