asdf
 

Das Meer und die Idomeneos unserer Tage

IM WORTLAUT / FESTREDE PETER SELLARS

27/07/19 Ist Greta Thunberg jener Neptun unserer Tage, der aus dem Meer auftaucht und dem Kreterkönig Idomeneo auffordert, auf die junge Generation zu hören? Peter Sellers sprach in seiner Festrede zur Eröffnung der Festyspiele heute Samstag (27.7.) über den Aufklärer Mozart. - Sellars' flammendes Plädoyer für eine ganzheitlich verstandene Welt im Wortlaut.

Von Peter Sellars

Jeden Sommer versammeln sich führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und der Finanzwelt, renommierte und aufstrebende Künstlerinnen und Künstler, um hier, an diesem sehr besonderen Ort, den tiefen und brennenden Menschheitsfragen nachzugehen. Musik und Oper sind Kunstformen, die auf Erfahrung beruhen. Hier finden wir Räume für neue Erkenntnisse und überraschende Einsichten. Hier ist aber auch der Raum, in dem wir die Stimmen der Vorfahren hören können, indem wir die Stimmen ungeborener Kinder vernehmen. Und vielleicht ist es auch der Raum, in dem wir so still werden können, dass wir unsere eigene, unsere innere Stimme hören. In diesen Räumen erdenken und entwerfen wir eine neue Zivilisation. Die diesjährigen Festspiele hat unser inspirierter und inspirierender Intendant Markus Hinterhäuser den Mythen gewidmet.

Heute Abend werden die 99. Salzburger Festspiele mit Idomeneo, der Oper eines aufbegehrenden, ungeduldigen, ungestümen und genialen 24-Jährigen namens Wolfgang Amadeus Mozart, eröffnet. Dieses visionäre und überwältigende Werk war schon zur Zeit seiner Entstehung eine Herausforde-rung für das Publikum und ist es bis heute geblieben.

Idomeneo ist eine Oper über das Meer. Hier sind die Wellen in Bewegung, sie brechen, brodeln und schäumen, sind übervoll von unendlichem Leben. Die riesigen Meere machen 70 Prozent der Erdoberfläche aus und sind das Lebenserhaltungssystem unseres Planeten. Sie sind Grundlage aller meteorologischen Abläufe, sie geben Nahrung, sind Mysterium und Schönheit zugleich, sind Spiegel der unergründlichen Tiefen der menschlichen Seele, des Unbewussten im Traum, der Erinnerung und der Fantasie. Der Mensch besteht zu einem überwiegenden Teil aus Wasser, und die Emotionen, die durch unseren Geist und unseren Körper strömen, sind ebenso unergründlich wie das Meer. Wir tragen Meere der Liebe in uns, Meere des Schmerzes, Meere der Sehnsucht und der Reue, des Wissens und des Mitgefühls, Meere der Freude und Meere der Hoffnung, die bei stürmischem wie auch bei ruhigem Wetter aufbrausen und abebben und die mit dem Blut, das durch unseren Körper und unser Leben fließt, unser Herz durchströmen. Mozart schrieb seine Musik des Meeres in einem Land ohne Zugang zum Meer, und doch war das Meer für ihn physische Kraft, kosmische Gewalt und unabwendbare moralische Instanz.

Idomeneo ist Teil der griechischen Mythologie mit Verweisen auf die Ilias und die Odyssee. Die stolzen und siegreichen Kriegshelden wandten sich nach dem langen, brutalen und letztlich sinnlosen Krieg von den blutigen Gestaden Trojas ab, setzten die Segel und traten mit ihrer Flotte die Heimfahrt an, und das Meer sagte: Halt! Bis hierher und nicht weiter. Die Schiffe der heimkehrenden Armee wurden zerstört, die Hybris und der Stolz der Krieger gebrochen. Manche kehrten erst nach zwanzig Jahren in ihre Heimat zurück, andere kamen in der rauen See um und wurden zum Fraß für die Fische.

Um zu verstehen und klar zu machen, dass alles in der Welt miteinander verbunden ist, dass alle Erfahrungen und Ereignisse einen kausalen Zusammenhang, ein Karma haben, entstanden die Mythen. In der griechischen Mythologie war Poseidon der Gott des Meeres. Heute befinden wir uns inmitten des Klimawandels und der Erwärmung der Meere. Korallenriffe verbreiten, während sie ausbleichen und sterben, den Geruch von verrottendem Fleisch. Sie nehmen weniger als ein Prozent des Meeresraumes ein und bergen doch 25 Prozent des gesamten Meereslebens in sich. Jetzt, da die Riffe, deren komplizierte Ökosysteme Inseln und Küsten schützen und mehr als 500 Millionen Menschen Nahrung geben, immer durchscheinender, fragiler und zunehmend geisterhaft werden, ihre Substanz verlieren und verschwinden, sollten wir uns endlich bewusst werden, wie gefährlich und zerstörerisch diese Entwicklung ist.

In Mozarts Oper geht es um einen Feldherrn, der von seinen Kriegserlebnissen verfolgt und traumatisiert ist. Vor seinem Volk und seiner eigenen Familie verborgen, agiert er dennoch mutig und mitfühlend, impulsiv und autokratisch nach der Maxime des „command and control“. Er ist sich seiner edlen Beweggründe sicher und opfert doch, ohne sich dessen bewusst zu sein, seinen eigenen Sohn, die nächste Generation. Idomeneo glaubt sich gewiefter und listiger als Neptun und unternimmt alles, um die vom Meeresgott eindringlich geforderte Tat hinauszuzögern und abzuwenden. Die Konsequenz seiner Weigerung, dieses Opfer zu bringen, ist eine riesige Flutwelle, die Zerstörung einer ganzen Stadt, sind Flüchtlinge, vollkommen sinnloses Leid und Tausende Todesopfer.

Meine Damen und Herren, auf der ganzen Welt sitzen heute Verantwortungsträger an den Hebeln der Macht, die sich den dringend zu ergreifenden Maßnahmen und der sofortigen Reaktion auf das, was unser Planet einfordert, verweigern und so den kommenden Generationen die Zukunft nehmen, sie opfern. Wie viele Wirbelstürme sind noch notwendig? Wie viele Hitzewellen, wie viele Wüstenlandschaften, wie viel Verschmutzung des Bodens und der Meere, wie viel Hypoxie und Anoxie? Wie viel an Gletschereis muss noch schmelzen, wie viel giftige Luft noch produziert werden und wie viele Tier- und Pflanzenarten müssen noch sterben, um zu erkennen, dass wir handeln müssen? In Mozarts Idomeneo schreiben die Menschen den Göttern die Schuld zu, haben die Sterne für alles die Verantwortung zu tragen. Die Natur wird als grausam angesehen, ihre Botschaft wird nicht verstanden. Der Mensch verbraucht heute das Sechsfache an Ressourcen dessen, was die Erde bereitstellen kann. Wir bewegen uns in eine vollkommen falsche Richtung. Mit Verantwortungsbewusstsein, Mut, Fürsorge, Intelligenz, Kreativität und Einsatzbereitschaft muss unser Ziel nichts Geringeres sein als eine neue Zivilisation, eine Zivilisation, in der das imperiale Denken keinen Platz mehr hat, in der das ökologische Bewusstsein die Maxime zu sein hat.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Erkenntnis, dass wir eins sind mit der Umwelt und unse-rer natürlichen Lebensumgebung – den Tieren, Pflanzen, Steinen, Wolken, der Luft, dem Wasser und dem Licht der Sonne. Alles Sein durchdringt einander, ist untrennbar verbunden mit jedem Molekül, jedem Partikel, jedem Entstehen und jedem Vergehen. Die gleichen Mikroorganismen, die in den Meeren leben, leben auch in unserem Körper. Und jetzt, da Millionen Tonnen Plastik in die Meere gekippt werden – Plastik, das Meeresgifte absorbiert und von Fischen und Vögeln gefressen wird, die wiederum vom Menschen verzehrt werden –, belegen aktuelle Schätzungen, dass jeder von uns pro Woche die Menge an Plastik einer Kreditkarte zu sich nimmt. Wir werden zu Menschen aus Plastik. Die Zerstörung unserer Umwelt ist die Zerstörung unserer eigenen Körper, unseres Lebens.

Das antike Theater erfand und vervollkommnete die Kunstform der Tragödie, um aufzuzeigen, dass das Böse an sich nicht existiert. Wie wir auch aus der hinduistischen und buddhistischen Philosophie wissen, gibt es das Böse nicht, es gibt nur die Unwissenheit. Der unwissende Mensch, der sich in destruktiven, für ihn selbst und für sein Umfeld verheerenden Taten ergeht, verstrickt sich in einem fatalen Gewirr aus Selbstgerechtigkeit, kurzsichtigem Denken und Realitätsverweigerung. Die Götter sprechen zu den Menschen – diese sind unfähig zu sehen und zu hören.

Wir, die Bewohner der westlichen Hemisphäre, mit all unserem Stolz auf unseren hohen Lebensstandard, sind überzeugt davon, dass unsere Kultur den Kulturen der übrigen Welt überlegen ist. Das ist die eigentliche Tragödie.

Leben wir tatsächlich verantwortungsvoll, wenn 20 Prozent der Weltbevölkerung 86 Prozent der weltweiten Ressourcen verbrauchen? Was bedeutet diese Entscheidung, einen Großteil der Menschheit, ganze Bevölkerungsgruppen, Kulturen, Kontinente, Länder, Flüsse, Tiere, Insekten, Pflanzen und Meere für bedeutungslos zu erklären? Wir müssen erkennen, dass wir tatsächlich unverantwortlich leben und es nicht die Götter sind, die grausam handeln. Das „Wir“, das „Uns“ wird durch unseren Egoismus, der einen Großteil der Menschheit ausschließt, verseucht. Heute besitzen die acht reichsten Menschen der Welt mehr als jene 3,7 Milliarden Menschen, die die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen und die von weniger als drei Euro pro Tag leben müssen.

Mozarts Ausgangspunkt für seinen Idomeneo war eine französische Tragédie, Danchets Idoménée, in der ein Vater tatsächlich seinen Sohn opfert, ihn tötet und die Geschichte in einem Blutbad enden lässt. Für Mozart und seine Generation war dieses Ende nicht zu akzeptieren. Es ist eine Epoche vonnöten, in der es nicht mehr tolerierbar sein wird, den schrecklichen Zyklus menschlichen Versagens zu wiederholen. Wir werden lernen müssen! Wir werden uns weiterentwickeln müssen! Die Künstler müssen den Blick nach vorne richten, sie müssen sehen und erkennen, woran es heute fehlt, sie müssen das Verborgene finden und ans Licht bringen. Sie sind es, die die Augen und den Geist öffnen für neue Möglichkeiten, für neue Gefühle, für neue Impulse.

Mozarts Aufklärungsutopie lässt die tradierten und künstlichen Strukturen autokratischer Verblendungen hinter sich und gibt der weitaus befreienderen Realität von Gleichheit und Gleichberechtigung im Angesicht eines größeren Universums Raum. In Idomeneo, dieser explosiven und revolutionären Oper, präsentierte Mozart der Welt seinen großen Durchbruch: das erste vollendete Opernquartett.

Mozart und Haydn gehörten der Freimaurerbewegung an, einem Netzwerk von Aktivisten und Intellektuellen, die die Amerikanische und Französische Revolution mitinspirierten. Nachdem Thomas Jefferson im Zuge der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika, einer Nation, die aus einem Schmelztiegel indigener Völker, Einwanderer und Sklaven entstand, die Gleichheit aller Menschen proklamierte, stand diese vor der Herausforderung, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung Realität werden zu lassen. Als zwei der engagiertesten Künstler ihrer Zeit reagierten Mozart und Haydn auf die Utopie der Gleichberechtigung mit der Form des Streichquartetts, der musikalischen Struktur einer wunderbaren Balance. Vier Musiker, untrennbar in eben dieser Form verbunden und vollkommen gleichberechtigt. Fehlt nur einer der Akteure, bricht die gesamte Struktur zusammen.

Mozarts befreiender und genialer Akt war, dieses intellektuelle Konstrukt aus der Kirchen- und Instrumentalmusik in seine Opern zu überführen und auf soziale und persönliche Interaktionen anzuwenden. Das große Quartett, der spirituelle Höhepunkt und die Feuerprobe von Idomeneo, setzt Eltern und Kinder gleich, Männer und Frauen, Herrscher und Bürger, Reiche und Arme, Einheimische und Flüchtlinge. Mozart erschuf ein vollkommen neues Geflecht aus Mitgefühl und Schmerz. Alle vier Akteure sind blind und besessen von ihrem eigenen Leiden, am Ende aber fähig, auch das Leid der anderen Menschen zu erkennen. Dieses geteilte Erleben menschlichen Leidens ist der erste Schritt zum Mitgefühl, zu einem neuen Weg, der über das Leid weit hinausgeht. Buddhas erste Lehre, nachdem er unter dem Bodhi-Baum Erleuchtung fand, ist eine der Vier Edlen Wahrheiten. Das Dasein ist unvollkommen und dem Leiden unterworfen, und die Suche nach einem Weg aus dem Leiden führt zur Erkenntnis, diesen demütig, entschlossen und unerschrocken zu gehen.

Mozarts Idee ist die Idee der Versöhnung, nicht die des Blutvergießens, ihr Thema ist Anerkennung und Erleuchtung, nicht die Tragödie. Wir haben es hier mit einem vollkommen neuen Vokabular zu tun, dem Vokabular aufrichtiger Reue für Fehlverhalten, Gier und Gedankenlosigkeit. Jede Mozart-Oper endet mit diesem Moment der Akzeptanz, dem Moment der Reue, die einer Gemeinschaft eine Weiterentwicklung überhaupt erst ermöglicht. Die daraus resultierende Erkenntnis wird in den Opern von Mozart nicht selten von einer Frau ausgelöst.

Wie können wir den Klimawandel bekämpfen? Zuallererst müssen wir uns von unseren tradierten Gewohnheiten verabschieden und grundlegende, vernünftige Veränderungen in unserem Leben und den damit verbundenen sozialen Strukturen vornehmen. Wir hätten es schon längst tun sollen! Wir müssen dringend die Strukturen des Kapitalismus und des internationalen Bankensystems hinterfra-gen und eine breit aufgestellte politische und soziale Gerechtigkeit schaffen. Unterziehen wir uns damit tatsächlich nur einer Mühsal, oder haben wir es hier nicht doch mit einem längst überfälligen Weckruf, einer wirklichen Chance zu tun?

Einer der vielleicht wesentlichsten Schritte im Kampf gegen den Klimawandel ist weltweite Bildung und die Stärkung der Position der Frau. Frauen stellen die Mehrheit der Kleinbauern, und es sind Frauen, die weltweit Tag für Tag Entscheidungen über die Nutzung der natürlichen Ressourcen wie Wasser, Lebensmittel und Brennstoffe treffen und die durch verantwortungsvollen Umgang für Nachhaltigkeit sorgen. Frauen sollen gleichgestellt und als Partner auf Augenhöhe die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu entscheiden, ob und wann sie Kinder bekommen. Das allein wird schon eine weitreichende Wirkung erzielen.

Wälder und natürliche Ressourcen, die von indigenen Gemeinschaften bewirtschaftet werden, sind reicher an biologischer Vielfalt und reicher an Biomasse, sie weisen wertvollere Böden auf, die in der Lage sind, mehr Kohlenstoff zu speichern. Am wesentlichsten aber ist es, dass indigene Völker kulturelle Intelligenz, langfristige Denkweisen, lokale Perspektiven, Emotionen und Möglichkeiten des Teilens entwickelt haben, die ihre täglichen Lebensentscheidungen und Lebenspraktiken im nachhaltigen Umgang mit der Erde in Einklang bringen. Dieses tiefe Wissen über den eigenen Grund und Boden schließt auch ein fein austariertes System für spirituelle Gesundheit ein und lässt sichtbaren und unsichtbaren Naturwelten Gerechtigkeit widerfahren. Den Klimawandel können wir durch wissenschaftliche Analysen, Innovationen und neue Technologien eindämmen. Aber wir werden nicht umhinkommen, auch auf alte, tradierte Erkenntnisse indigener Völker zurückzugreifen. Durch sie erfahren wir alles über den Umgang mit der Erde, den Menschen und seine spirituellen Möglichkeiten.

Das sind tatsächlich kulturelle Fragen, genauso wie wissenschaftliche und politische Themen, die durch die Kunst in Musik, Tanz, Malerei, Film und Dichtung Ausdruck finden müssen. Wir brauchen neue Stimmen, und es gibt viele neue Geschichten zu erzählen! In diesem Jahr haben erstmals erneuerbare Energiequellen die Rentabilität der fossilen Brennstoffe übertroffen. Sogar der Kapitalismus scheint dies zu erkennen. Ein weitreichender Wandel erfordert, dass Regierungen weltweit in großem Umfang handeln. Aber es bedarf auch kleiner und dennoch weitreichender Aktionen, bewusster tagtäglicher Entscheidungen, die eine große wirtschaftliche und moralisch befreiende Wirkung haben. Wir brauchen mehr Sauerstoff in unserem Leben und wir brauchen ein besseres emoti-onales Klima für den Menschen und sein Tun.

Die Erde verlangt von uns nicht mehr und nicht weniger, als gut und verantwortungsvoll zu leben – im Gegenzug versorgt sie uns mit ihren Ressourcen, ihrer Schönheit, der Freude und dem Kreislauf der Erneuerung, der uns lehrt, im Gleichgewicht zu leben. Die Freude und das Wohlbefinden, das Sie vielleicht beim Wandern in den Bergen hier in Salzburg spüren, lassen Sie erkennen, Teil der Natur zu sein und endlich zu sich selbst finden zu können. Nicht alles, was im Leben wichtig scheint, kann mit Geld, Wert und Gewinn gemessen werden. Machen wir nicht den Fehler, Profit mit Wert zu verwechseln. Das steigert zwar den Geldfluss, macht aber den Menschen und den Planeten arm.

Ein Schritt in die richtige Richtung wäre, die Umstellung auf pflanzliche Ernährung zu intensivieren. Wenn 18 Prozent der Ackerfläche unserer Erde von der Rindfleischindustrie übernommen wurden, um auf diese Weise noch mehr Rinder weiden zu lassen, ist es definitiv an der Zeit, weniger Fleisch zu essen. Die industrielle Abholzung der Wälder muss beendet werden, damit unserem Planeten und somit uns Menschen die lebenswichtige Lunge, unser Lebensatem, erhalten bleibt.

Die Wissenschaft gibt uns noch genau 15 Jahre, um eine neue, eine ökologische Zivilisation zu schaffen. Und wo sind die Künstler? Viel zu lang haben sich nur bestimmte Stimmen zu Wort gemeldet, andere waren dafür eklatant unterrepräsentiert. Was für eine Erleichterung, dass wir nun endlich auch die Stimmen der Frauen, indigene Stimmen und Stimmen aus den Gegenden, in denen Umweltzerstörung mit Verletzung von Menschenrechten einhergeht, hören können! Kulturinstitutionen sind in Bewegung, haben aber noch einen langen Weg der Öffnung vor sich, um auf die Menschen zu hören, die aus Regionen kommen, deren Wissen und Erfahrung entscheidend für den Aufbau einer integrativen und repräsentativen ökologischen Zivilisation sein werden.

Prestige- und Machtdenken, patriarchalische Strukturen und Kriege haben unser Denken und unsere Welt über Jahrzehnte dominiert. Jetzt treten junge Menschen auf den Plan und schaffen Kunstwerke, die nicht mehr Objekte sind. Es sind Aktionen. In der neuen Zivilisation zählen Taten.

Der Klimawandel hat uns zu einer staunenswerten und eindringlichen Entwicklung geführt. Wir können uns nicht mehr als einzelne isolierte Nationen begreifen, wir sind eine geografische Einheit. Der Klimawandel fordert jede Nation dieser Erde, fordert jede Gruppierung, jeden Erwachsenen, jedes Kind. Der Klimawandel verlangt nach Gleichberechtigung, nach Gemeinschaften, Netzwerken und Strukturen, die es uns ermöglichen, auf Augenhöhe zu handeln.

Der 24-jährige Mozart beendet seine Oper mit einem erstaunlichen Kunstgriff, einer Botschaft aus der Zukunft und einem Akt der Heilung. Neptun erscheint und kündigt Idomeneo an, er könne auf-grund seiner gebrochenen Versprechen nicht länger König sein. Neptun bietet Idamante, dem rebel-lischen Sohn Idomeneos, und Ilia, dessen Flüchtlingsbrau – also der nachfolgenden Generation —, die Herrschaft an. Sie sind es, die sich mit Integrität, Unschuld und Liebe tatsächlich durchgesetzt haben. Ihre Hartnäckigkeit und ihre Vision qualifizieren sie für diese Führungsrolle.

Heute, in diesem aufwühlenden Augenblick der Menschheitsgeschichte, geht die junge Generation mit Entschlossenheit und Idealismus auf die Straße. Kinder sprechen eindringlich mit ihren Eltern. Sprecht weiter! Ihr habt den größten Einfluss auf eure Eltern! Und ihr Eltern, hört auf eure Kinder!

Unsere Generation war die Generation der Imperien und der Konsumgesellschaft. Jetzt ist es an der Zeit, eine neue Generation von engagierten, schöpferischen, fürsorgenden jungen Menschen will-kommen zu heißen.

Freie Übersetzung: Markus Hinterhäuser

Bild: LMZ/Neumayr/Leo
Zum Bericht über dien Festakt zur Festspieleröffnung
Kunst statt Kompromisse
Dokumentation: Festspielrede Peter Sellars in Englisch

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014