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Riesenwirbel im Kleinformat

FESTSPIELE / KINDEROPER

27/07/19 Der rasende Roland verliert nicht nur den Verstand, sondern auch Hut und Lesebrille. Er ist nämlich Komponist. Auf dem Mond findet sich alles wieder (verloren gegangener Menschenverstand hinter dem dritten Krater links). Freilich erst nach aber-witzigen Abenteuern auf der Insel der Zauberin Alcina. Gibt es Bonus-Meilen für Viel-Flieger auf einem inkontinenten Hippogryph?

Von Heidemarie Klabacher

Der Gesang der Zauberinsel. Oder: wie der Rasende Roland wieder zu Verstand kam aus der Feder von Marius Felix Lange feierte als „Kinderoper“ im Rahmen des „Young Singers Project“ seine Uraufführung in der Großen Aula.

Größeren Kindern ab mindstens elf, zwölf Jahren wird eine kluge Musikvermittlung den Witz des Ganzen schon plausibel machen können. Szenisch geht es in der Regie von Andreas Weirich auf der Bühne und in den Kostümen von Katja Rotrekl turbulent und unterhaltsam genug zu, bei durchaus bescheidenen aber virtuos eingesetzen theatralischen Mitteln. Die Flug- und Wolkenvideos von Fabian Kapo lassen abheben.

Der erwachsene Hörer, besonders der Barockopern-Freak, möchte den rotz-frechen Streich freilich am liebsten als verpflichtend aufzuführendes Satyrspiel nach Händels Alcina verortet wissen.

Inhaltliche Versatzstücke, etwa Bradamantes Suche nach ihrem Verlobten Ruggiero, welcher der Zauberin Alcina auf den Leim gegangen ist, werden munter verknüpft mit anktiken griechischen, aber auch ganz aktuellen Motiven, wie dem eines persischen Flüchtlings als Vermittler zwischen den Kulturen: Mirzas Schlaflied aus der Heimat ist es, was die außer Rand und Band geratenen Menschen und Fabelwesen schließlich zur Ruhe bringt. Der Komponist mit wieder aufgefundenem Verstand, nimmt denn auch Mirza in sein Ensemble auf und denkt sogar daran, in seiner neuen Oper Der rasende Roland das Schlaflied für dramatischen Sopran zu überarbeiten.

Angelika, in der großen Oper von allerhand Rittervolk umkämpfte chinesische Prinzessin, ist in dieser Fassung ganz einfach die Tochter des Komponisten und dessen erster Sopran – verliebt in den Migranten Mirza. Sie verbündet sich promt mit der Ritterin Bradamante, als auch Mirza in Alcinas Reich landet, weil er den Gesang der Zauberinsel gesungen hat. Unverzichtbar bei all den Reisen zwischen Ländern und Kulturen, das blasenschwache geflügelte Pferd Hippogryph (in Harry Potter Welt als „Hippogriff“ kategorisiert mit drei XXX; will heißen, kundige Zauberer sollten damit fertig werden). Natürlich ist auch er ein von Alcina verzauberter Jüngling.

Der kundige Umgang des Librettisten Marius Felix Langes mit dem Stoff des Orlando furioso macht ebenso aufmerksam auf den Text, wie etwa sehr poetische Ideen und Formulierungen: Als „Bradamantes Sehnsuchtsgedanke“ flüstert die grad unsichtbare Bradamente ihrem Ruggiero Erinnerungen zu. Urwitzig sind die immer wieder abgebrochenen Versuche der Figuren, einannder zu erklären, was jetzt wieder los ist. So geht es einem auch mit Alcina.

Als Komponist pendelt Marius Felix Lange ungeniert postromantisch zwischen Korngold und Schreker, Einsprengselvon Wagner (im Sturm meint man gelegentlich Walküren reiten oder Nibelungen hämmern zu hören) bringen weitere Knallfarbe. Das absteigende Leitmotiv des blasenschwach gegen Myrten und Menschen pinkelnden Flugpferdes ist so hübsch wie frech.

Es spielen in kleiner Besetzung großmächtig auf: die Salzburg Orchester Solisten unter Ben Glassberg. Die Mitglieder des „Young Singers Project“ übertreffen einander stimmstark in „Großer Oper“. Etwas weniger Lautstärke und etwas mehr Textdeutlichkeit wäre cool. „Schlaflied?“, fragt der junge Perser als er des Komponisten Roland Angelers „Schlaflied“ hört. „Da würden bei uns sogar die Toten in den Gräbern wach.“ Die Lautstärke in der neunten Reihe der akkustisch heiklen Großen Aula war dröhnend. Das kann freilich ein paar Reihen weiter hinten schon ganz anders ankommen.

Bei der Premiere am Freitag (26.7.) aufgefallen sind die vielen Kinder im Kindergartenalter, angesichts derer selbst die kundigste Musikvermittlung wird kiefeln müssen, wenn eine geradlinige „Geschichte“ den heraufdämmernden Tumult erklären soll. Wie soll man den Kleinen bloß erklären, dass die bügelnde Angelika auf bügelnde Kolleginnen umstrittener großer Festspiel-Inszenierungen anspielt... Den Kleinen geht es bei alle dem, wie dem Hippogryph: Sie „müssen“ mal.

Der Gesang der Zauberinsel – sieben weitere Aufführungen in der Großen Aula bis 25. August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Erica Meyer

 

 

 

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