Aus der Tiefe in die Tiefe
FESTSPIELE / SWR CHOR UND ORCHESTER
25/07/19 Wenn die Zusammenstellung der Musik so logisch und natürlich empfunden wird, dass sich ein Konzertabend als in sich selbstverständliche Komposition darstellt, erlebt man als Publikum das Glück des besonderen Augenblicks. Durch objektive Verfahren Sentimentalität zu vermeiden bedeutet nicht, auf Effekte zu verzichten.
Von Erhard Petzel
Ein Konzert über Tod und Finsternis auf Musik von Gesualdo, Rihm und Nono im erhellenden Vergleich und wesenhaften Kontrast – in der Interpreation von SWR Vokalensemble und Symphonieorchester am Mittwoch (24.7.) n der Kollegienkirche: Der zunächst etwas akademisch anmutende Vergleich zweier Komponisten zum gleichen Textmaterial wird zur spannenden Auseinandersetzung damit. Der inhaltliche und durch die Besetzung verstärkte dynamische Kontrast der Programmteile zueinander führt zur Vertiefung eines zugrunde liegenden Bezugs und den Blick auf dessen Tiefenstruktur unseres menschlichen Wesens. Das Ganze in der Inszenierung des Traumas eines gewaltsamen Sterbens.
Das geschieht zunächst in biblischen Worten. In Responsoria et alia ad Officium Hebdomadae Sanctae spectantia von 1611 vertont Gesualdo Texte von der Passion Christi für die nächtlichen Andachten der Karwoche (Teile daraus, vertont von Palestrina und de Victoria, hatten tags zuvor auch Herrewegehe und die Seinen auf den Pulten). Ebenfalls für sechs Stimmen gesetzt, greift diese Texte vierhundert Jahre später auch Wolfgang Rihm auf - in seinem Werk Sieben Passions-Texte. Dreimal erfolgt die direkte Gegenüberstellung bei Tristis est anima mea, Velum templi scissum est und Tenebrae factae sunt.
Grandios feinnervig die Textausdeutung durch Gesualdo, der durch geschickte Wiederholung der Kernpassagen kontemplativ elegische Schlusswirkungen entfaltet. Jesu Klage am Ölberg, dass seine Jünger die Flucht ergreifen werden, findet sich als Fugato umgesetzt, kontrastiert vom ätherischen Bekenntnis zum Selbstopfer.
Rihm arbeitet die Texte meist in größeren Zusammenhängen aus und spielt weniger bekümmert um das einzelne Wort mit den kompositionstechnischen Mitteln. Doch auch er bekennt sich zur Kraft von illustrativen Wirkungen zur Verstärkung der Textaussage. Hinzugehen um sich zu opfern – diese Hingebung muss sich auch durch Musik entfalten. Das Flehen des Schächers um Jesu Fürsprache im Paradiese erfolgt wiederholt und findet seine Entsprechung, wenn Jesus seinen Geist in des Vaters Hände befiehlt: meum wird zur Kernaussage des eigenen Seins durch den Geist. Darauf referiert das Programmheft mit einer Lebensfrage von Bruno Ganz: „Wie kann es sein, dass einmal ich, der ich bin, nicht mehr der ich bin sein werde?“ 1995 hatte dieser in der Kollegienkirche die Texte zu den Abschiedsbriefen durch das Nazi-Regime Hingerichteter gelesen, die Nono in seinen Il canto sospeso verarbeitet. Der Weg alles Irdischen vereitelte die Wiederholung. Bruno Ganz ist verstorben. Jens Harzer zollte seinem Ringgönner Respekt und übernahm die Aufgabe mit klarer, fast kalt distanzierter Stimme. Nicht Gefühligkeit kann dieses Werk einleiten, sondern der nüchterne Blick auf den Wahnsinn eines Regimes, das mit seinen Kindern nichts anderes anzufangen weiß, als sie zu ermorden. Gut ein Dutzend Opfer beiden Geschlechts, unterschiedlicher Herkunft und Umgebung, die beiden Jüngsten 14 Jahre, kommen zu ihrem letzten Wort. Seine 63 Jahre spürt man dem Werk Nonos, das ikonenhaft für den Darmstädter Diskurs stand, nicht an. Seine serielle Struktur verhindert emotionale Wirkung nicht. Durch objektive Verfahren Sentimentalität zu vermeiden bedeutet nicht, auf Effekte zu verzichten.
Die Beschreibung einer jungen Jüdin über den Einbruch der schwarzen Mörderbande in die Synagoge wird zur einfachen Poesie, die in der musikalischen Vorbereitung die Wucht eines Dies Irae verdient. Yeree Suh sieht sich für ihren Text eines Mädchens von Glöckchen begleitet. Bettina Ranch und Robin Tritscher sind die weiteren Solisten, die dieser Kantate der Moderne elegant und stilsicher im Verein mit dem präzisen und ausdrucksstarken Chor und Orchester des SWR unter Peter Rundel, der das Nono-Stück leitete, Glanz verleihen.
Eine weitere inhaltliche Brücke zu Nonos Werk hielt der Chor unter der Leitung von Marcus Creed des zweiten Dirigenten dieses bewegenden Abends mit Gesualdos Caligaverunt oculi mei bereit. Die Metapher des Schmerzes (des Volkes Israel) wird gleichsam zum Botschafter des Holocaust. Ein Abend voller Bezüge, klug zusammengestellt mit der Aufforderung an den Hörer, sie nach Möglichkeit und Ressourcen wahrzunehmen und für sich umzusetzen. Nach dem Schluss-Unisonso des Chores würde man gerne auf den aufdringlichen und erschöpfenden Applaus verzichten.
Bilder: SF / Marco Borelli