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Vom richtigen Zeitpunkt abzutreten

HINTERGRUND / IDOMENEO

25/07/19 Wer eigentlich der Regisseur ist und wer der Dirigent, das sei bei Peter Sellars und Teodor Currentzis oft nicht so leicht zu unterscheiden, sagt der Dramaturg Antonio Cuenca Ruiz.

Von Anne Zeuner

Was sagt der eine über den anderen? In der Produktion gehe es darum, Probleme anzusprechen, meint Teodor Currentzis. Wer sei dafür besser geeignet als Peter Sellars? Das Wort Regisseur werde ihm gar nicht gerecht. „Er ist viel mehr als das. Er lädt uns mit seiner Arbeit gewissermaßen in seine spirituelle Praxis ein“, so der Dirigent. „Er setzt auf Kommunikation, führt uns alle zu Problemlösungen und setzt dabei auf Humanität mit einer enormen Energie. Es ist ein Privileg mit ihm zu arbeiten.“

Und auch Peter Sellars geizt nicht mit Lob für den Dirigenten. „Was Teodor auszeichnet, ist seine Gabe Licht an unerwartete Orte zu bringen. Er ist ein echter Visionär“, befindet der Regisseur. Zu beobachten, wie Teodor Currentzis bei der ersten Probe mit dem Freiburger Barockorchester ein „atmosphärisches Gesamterlebnis“ geschaffen habe, sei beeindruckend gewesen. Takt für Takt, Note für Note habe er jedes Detail mit den Musikern besprochen. Mit seiner Arbeitsweise schaffe er es immer wieder Räume für die Sänger zu schaffen, in denen sie ihr Potenzial voll und ganz freisetzen könnten.

Vor zwei Jahren haben Peter Sellars und Teodor Currentzis Mozarts La clemenza di Tito bei den Festspielen gemeinsam erarbeitet. In dieser Oper seria geht es um Vergebung, erklärt der Dramaturg Antonio Cuenca Ruiz. In Idomeneo nun gehe es zentral um die Frage, „wann es Zeit ist aufzuhören und damit einer neuen Generation neue Chancen zu geben“, ergänzt Teodor Currentzis. „Wenn wir unsere Ansichten jetzt nicht überdenken“, sagt Currentzis, „dann existieren wir in hundert Jahren vielleicht nicht mehr.“ Der Musiker zum Vater-Sohn-Konflikt in diesem Werk: „Wir sollten aufhören, Schuld in uns zu tragen und diese auf unsere Kinder und Kindeskinder zu übertragen. Durch Schuld kann der Mensch nicht geheilt werden.“

Peter Sellars: „Wir stehen beim Thema Klimawandel weltweit vor einer riesigen Herausforderung.“ Egal ob in Indonesien, Paris oder New York, es handele sich um ein globales Problem, für das eine neue Form der Kommunikation gefunden werden müsse. „Wir müssen uns über alle politischen und ethnischen Trennlinien hinwegsetzen“, sagt er. Das Thema Ozean sei altbekannt aus der Mythologie. Doch dieser Ozean, das sei nicht eine Wassermasse, nein, der Ozean, das seien Millionen von Lebewesen. „Wir müssen lernen mit dem Ozean zu verhandeln und mit ihm in Kontakt zu treten“, sagt Peter Sellars plakativ.

Genau daher sei der auf der Pazifik-Insel Samoa geborene Lemi Ponifasio der perfekte Choreograf für diese Produktion. 2006 hat er erstmals mit Peter Sellars zusammengearbeitet. Damals, so erinnert sich Lemi Ponifasio, sei er nach Kiribati geflogen, eine Insel in Polinesien, die wohl als eine der ersten auf der Landkarte verschwinden wird, wenn der Wasserspiegel weiter ansteigt. „Als ich begann mit den Einheimischen zu sprechen, kannte niemand Mozart“, lacht er. Das habe sich mittlerweile geändert. Die Einheimischen hätten ihn „als eine Art Weltbürger“ erkannt. Mit seiner Arbeit an dieser Produktion wolle er mit dem Tanz Räume der Stille schaffen. „Die Tänzer existieren zwischen den Noten“, sagt er. Sie seien wie ein Baum, der einerseits fest verwurzelt ist, sich aber mit seinen Blättern immer dem Licht zuwende. Der Tanz solle dazu beitragen, Wunden zu heilen. Dabei spiele das finale Ballett eine große Rolle.

Mozart habe bei der Uraufführung seiner Oper einige Arien gestrichen, sagt Peter Sellars. „Und auch wir haben uns entschieden selektiv zu sein. Wir gehen nach dem Motto ‚weniger ist mehr‘, damit mehr Kohärenz entstehen kann“, befindet der Regisseur. Dass das heikel sei in Salzburg, sei ihm bewusst. Dennoch habe man fast alle Secco-Rezitative gestrichen. „Das Wesen der Rezitative des 18. Jahrhunderts ist es, Emotionen rüberzubringen und zu erläutern“, sagt der Dirigent Teodor Currentzis. „Ich glaube, aus heutiger Sicht hätte Mozart sogar selbst darauf verzichtet. Er musste damals Kompromisse eingehen und hat sie daher geschrieben“, sagt er. Allerdings sei es in der heutigen Zeit nicht mehr nötig mit dem Holzhammer alles zu erklären. Das Publikum sei auch so sehr gut in der Lage, alles zu verstehen.

Mozarts Idomeneo hat am Samstag (27.7.) Premiere, Aufführungen bis 19. August in der Felsenreitschule. Der ORF überträgt die Premiere am 27. Juli live ab 18 Uhr in Ö1, in SerusTV ist die Produktion am 15. August ab 21.15 Uhr zu sehen und zu hören – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Anne Zeuner (2); MAU (1)

 

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