Extreme aus einem Guss
FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT LEVIT
23/07/19 Der Pianist Igor Levit eröffnete das erste seiner beiden Solistenkonzerte mit Werken von Franz Liszt, in denen reichlich Tränen fließen: Salzburg hält ja noch vor der offiziellen Festspiel-Eröffnung und die Ouverture spirituelle gilt dem Thema Lacrimae.
Von Heidemarie Klabacher
Der alte Bach hatte ein versöhntes Verhältnis mit dem Tod. Zumindest klingt seine Musik danach. Das absteigende Bassmotiv aus der frühen Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen hat Bach im Crucifixus der späten h-Moll Messe wieder aufgegriffen. Wenn sich Franz Liszt zum Zwecke einer Trauermusik dieses Motivs bedient, ist das keine Übung zur Ars Moriendi, kein Ausdruck von Erlösungshoffung in christlicher Ergebenheit. Liszts Variationen über ein Motiv von Bach, geschrieben nach dem frühen Tod der Tocher, sind eine Anklage Gottes, eine dröhnende Forderung, dieser möge gefälligst wieder gut machen, was er da angerichtet hat.
Mit der ihm eigenen Delikatesse, im raumfüllenden Pianissimo, anschlags-technische Zauberei, gestaltete Levit die ruhigen Momente. Das Recitativo lento etwa steigert er, über ein unerbittliches Cescendo, bruchlos zum aberwitzigen Fortissimo. Dem wie eine Versöhnungshoffung aufsteigenden Choral Was Gott ist das wohlgetan machen pianistischer Theaterdonner und Bildersturm alsbald wieder den Garaus: All diese Extreme im Ausdruck rundet Igor Levit zu Klängen aus einem einzigen Guss. Atemberaubend.
Auch im Stück Sunt lacrymae rerum aus Années de pèlerinage III wurden die wenigen lichten Momente zermalmt von Felsstürzen aus Klang. Geschrieben 1872 En mode hongrois sollte das Werk an die Gefallenen des gescheiterten Ungarnaufstandes von 1848/49 erinnern. Keine Folklore, purer Pessimismus. In der Lesart von Igor Levit ein Stück für unsere Gegenwart des neu aufkeimenden Nationalismus.
Eine Liszt'sche Bearbeitung des Lacrimosa aus dem Mozart-Requiem war die Atempause vor dem Gipfelsturm Richtung Fantasia contrappuntistica von Ferruccio Busoni. Dieser hatte es sich in den Kopf gesetzt, die fuga a 3 soggetti, die unvollendete letzte Fuge aus der Kunst der Fuge, zu vollenden. Herausgekommen ist ein aberwitziges kontrapunktisches Monumentalwerk, dessen komplexte Strukturen Igor Levit zum Mitschreiben transparent als quasi „Romantischen Kontrakpunkt“ in den Raum gestellt hat. Da schienen der alte Bach und der junge Schubert angeregt plaudernd über sonnige Lichtungen und durch rauschende Wälder zu schlendern ohne Fugen-, Erden- oder Tränen-Schwere. Mit der Zugabe – Franz Liszts Sonetto 123 del Petrarca – entrückte Igor Levit sein Publikum aus dem Großen Saal ins Himmelslicht.
Hörfunkübertragung am 6.8. um 14.05 Uhr, Ö1
Beim zweiten Solistenkonzert am 4. August im Haus für Mozart spielt Igor Levit Beethoven und Mahler - www.salzburgerfestspiele.at
Bild: dpk-klaba