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Der Hahn kräht immer noch

FESTSPIELE / LOS ANGELES MASTER CHORAL

22/07/19 „Ich kenne den Menschen nicht...“ Drei Mal hat Petrus Jesus verleugnet. Er hat den Verrat lebenslänglich bereut. Orlando di Lassos Lagrime di San Pietro erzählen nicht nur von den Gewissens-Qualen Petri, sondern zeitlos von Reue, Selbstanklage und existentieller Krise.  Das Ensemble Los Angeles Master Choral hat überwältigt - trotz der Inszenierung von Peter Sellars.

Von Heidemarie Klabacher

Reue, Verzweiflung, Selbstanklage und Verzicht auf Hoffnung nach Vergebung sind zwar dem späteren „Heiligen Petrus“ in den Mund gelegt. Tatsächlich erzählen allein schon die insgesamt 21 Gedichte aus der Feder des Renaissance-Dichters Luigi Tansillo von den Gewissensnöten „des Menschen“: Selbst in der Übertragung aus dem Alt-Italienischen ist die poetische und zeitlos psychologische Kraft dieser Verse zu spüren. Wenn Jesus vom Kreuze herab sagt, dass ihm der Verrat seines Getreuen größere Schmerzen bereite, als die körperliche Qual, kann man das fromm aus der Entstehungszeit heraus, aber auch ganz modern als quälende Stimme des Gewissens interpretieren.

Es liegt wenig Trost in diesem lyrisch-theologisch-psychologischen Meisterwerk, das Orlando di Lasso 1594, seinem letzten Lebensjahr, vertont und in seinen Affekten potenziert hat: Am 24. Mai war das Werk fertig, am 14. Juni ist der Komponist verstorben. Die Lagrime di San Pietro haben als Schwanengesang also ebenso gut das Zeug zur Legendenbildung wie Mozarts Requiem oder des früh vollendeten Pergolesi Stabat Mater.

Orlando di Lasso hat die 3 mal 7 Gedichte zu jeweils acht Zeilen jeweils siebenstimmig vertont. Die simple Zahlensymbolik braucht keinen Kabbalisten. Jeweils drei Sängerinnen und Sänger pro Stimme bildeten in der Kollegienkirche das Ensemble Los Angeles Master Choral. Und diese 21 Sängerinnen und Sänger haben schlicht und einfach überwältigt. Es war eine klanglich vollendet ausbalancierte Wiedergabe, so unprätentiös wie glaubhaft in den Affekten. Die Lagrime di San Pietro sind ein einziges Wunder an kompositorischer Komplexität und klanglicher – ja lautmalerischer – Fülle und Sinnlichkeit, mit der der Komponist die Bilder des Dichters interpretiert und zugleich überhöht hat.

Umso befremdender war die „Inszenierung“, die der hochgeschätzte und in Salzburg einfach unverzichtbar dazugehörende Peter Sellars glaubte dem Werk überstülpen zu müssen. Der Text spricht von Augen und Ohren - und schon deuten die Sänger auf auf Augen und Ohren. Von Bögen ist die Rede, die spitze Pfeile schleudern - und das Ensemble stellt promt einen Trupp Bogenschützen dar. Zu dieser simplen gebärdensprachlich-pantomischen Bebilderung gab es fast ständig Bewegung, niederknien, hinlegen, aufstehen, hin und her gehen... Das Wunder der klanglichen Homogenität – sowohl innerhalb der sieben Dreier-Stimmgruppen als auch innerhalb des Gesamt-Ensembles – ist angesichts der ständigen Leibesübung noch viel höher zu schätzen. Auch der Dirigent Grant Gershon war mit auf Wanderung. Gegen das dritte Drittel hin durfte sich das Ensemble auf Stühle am Bühnenrad setzen. Damit kehrte (trotz Kreuzweh-Pantomime des alternden Petrus) endlich ein wenig Ruhe ein. Tatsächlich waren die stärksten Momente auch vorher jene, in denen keine „Aktion“ verdoppelte, was ohnehin in Text und Musik vollendet ausgedrückt war. Trotz des Vorbehalts gegen den Bewegungschor - stimmiger hätte die Ouverture spirituelle unter dem Motto Lacrimae nicht eröffnet werden können.

Starke Momente ergaben sich, wenn die Sänger und Sängerinnen einander paarweise Trost und Nähe spendeten: Da wurde sozusagen eingelöst, was das Werk selber verwehrt. In der Schönheit von Orlandos Musik liegt wohl viel Trost. Doch die durch alle modalen Tonsysteme wandernde zwischen Homo- und Polyphonie raffiniert  changierende Komposition legt sich auch inhaltlich nicht fest. Barmherzigkeit schaut anders aus. Da ist die Rede von der Furcht wie Eis in Petri erstarrtem Herzen. Ein Blick aus „göttlichen Augen“ tröstet zwar und vertreibt die Furcht. Doch „an ihre Stelle trat die Scham“. Der Zyklus endet mit einer Anklage, gnadenlos kafkaesk: „Er erwartete weder Anklage noch Gnade oder Strafe von diesem strengen Gericht...“

Bilder: SF / Marco Borelli

 

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