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Der Tod als Elefant im Raum

FESTSPIELE / JEDERMANN

21/07/19 Der aufziehende Gewitterwind zauste heftig den weißen Bühnenvorhang und sorgte bei der Premiere auf dem Domplatz für dramatische Effekte wie stürzende Notenpulte. Die starken Mitwirkenden aus Natur und Architektur spielten die menschlichen fast ein wenig an die Marmor-Wand. Jedermann fand Gottes Erbarmen unter ersten Regentropfen.

Von Heidemarie Klabacher

„Der grimmig Tod mit seinem Pfeil, tut nach dem Leben zielen. Sein Bogen schießt er ab mit Eil und läßt nicht mit sich spielen...“ Mit diesem Volkslied aus dem dreißigjährigen Krieg begrüßt die Buhlschaft ihren Buhlen. Noch nicht im roten Kleid, sondern im transparenten Glitzer-Overall. Ein starker Auftritt, mit dem schon alles gesagt ist: „Kein Mensch auf Erd uns sagen kann, wann wir von hinnen müssen...“ Souverän ist auch der Abgang der Buhlschaft ohne Panik und Gekreisch und ohne wehende Rockschöße trotz roter Robe: Jedermann weiß jetzt, dass er sterben wird und keiner, auch nicht die Geliebte, will mit ihm die Reis' antreten. „Werd' ich verlassen von euch allen?“ „Ja Jedermann. Dein Spiel will mir nicht mehr gefallen.“

Diese radikal-ehrlichen Worte stehen zwar nicht im Original, passen aber in unsere Zeit und sichern der Buhlschaft den starken Abgang. Was die wenigen Sätze zwischen Auftritt und Abgang betrifft, ist mit der Information über Valery Tscheplanowas buhlschafts-rotes Kleid (25 Meter Seiden-Chiffon) schon das Wichtigste gesagt. Ihre Darstellung geht in der Intensität über zart-blass nicht recht hinaus. Das Bild der modernen selbstbewussten Frau ist vor allem dem ihr in den Mund gelegten Schluss-Satz zu danken. Als charmant smaltalkende Gastgeberin und Meisterin im Übersehen des Elefanten im Raum ist Valery Tscheplanowa brillant. Ihre Gesangsnummern verorten sie geradezu als Volksschauspielerin - mit Laufsteg-Qualitäten.

Mit differenzierten Nuancen überzeugt Tobias Morettis Jedermann wie schon in den bisherigen Spielzeiten der Inszenierung von Michael Sturminger – hinter die keine Jedermann-Produktion mehr zurück wird können: Die Verortung in einer quasi zeitlos-heutigen Börsen-Spekulanten-Society kann für die nächsten siebenhundert Aufführungen gültig bleiben. Die Aufführung am 27. Juli 2019 wird tatsächlich die siebenhundertste der Festspielgeschichte sein.

Wurde die Geld-Eloge, in der erstaunlich viel weitblickender Originaltext steckt, und die sich Michael Masula als neuer Schuldknecht erstmals anhören muss, gegenüber dem Vorjahr ein wenig gekürzt? Jedenfalls ging das Lob der Geld-Verblendung heuer mit Elan über die Bühne. Ebenfalls neu im Ensemble sind Björn Meyer und Tino Hillebrand, die als Dicker und Dünner Vetter Stan Laurel und Oliver Hardy-Assoziationen wecken.

Neu ist auch der Teufel und hat es noch immer nicht leicht: Heuer muss Gregor Bloéb zuschauen, wie ihm seine sichere Beute Richtung Himmel entwischt. Als Jedermanns Guter Gesell macht Gregor Bloéb beste Figur: Sein militärisch knapper „Diener“, mit dem er sich von Jedermann verabschiedet, erzählt von einem Menschen, dem es sogar in der halbseidenen Seitenblicke-Gesellschaft gelungen sein dürfte, gut verborgen Haltung zu bewahren.

Vertraut und längst unverzichtbar: Peter Lohmeyer als Stimme des Herrn, Spielansager und grandios sinnlicher Tod. Edith Clever als Jedermanns Mutter bewegt wie eh. Christoph Franken erfreut erneut als gemütlich-brutaler Mammon. Die zombiehaften Werke von Mavie Hörbiger lehren auch heuer wieder das Gruseln, um dann umso mehr staunen zu lassen, wie „normal“ sie tatsächlich sind. Eine überaus klug konzipierte und souverän umgesetzte Figur.

Am Raum- bzw. Bühnenkonzept von Renate Martin und Andreas Donhauser, das die Struktur der Domfassade aufgreift und an den „sprechenden“ Videoprojektionen auf die Podest-Basis von Jakob Barth wurde nichts (offen-sichtliches) verändert. Wie dem Jedermann der Boden unter den Fußen wegkippt und seine Welt in den Orkus kippt, ist filmreife Bühnenkunst. Die perfekte Amalgamierung von Bühnenbild und Domfassade mittels der als Silhouette nachgebildeten Dombögen und ihrer Heiligen begeistert immer wieder.

Ein für die Wirkung des aktuellen Jedermann-Gesamt-Pakets nicht zu überschätzender Bestandteil ist die Musik von Wolfgang Mitterer gespielt vom Ensemble 013 unter der Leitung von Jaime Wolfson: Die Musik ist, wie die Inszenierung, in einer zeitlosen Gegenwart angesiedelt, zitiert sich aber quer durch die Musikgeschichte bis zurück in Tage, in denen erste Textvorläufer des Jedermann entstanden sind. - Nach einer packenden Aufführung enormer Jubel im aufkommenden Gewitter.

Für die Jedermann-Aufführung heute Sonntag (21.7.) um 21 Uhr waren zu Mittag noch Karten um 175 und um 115 Euro online verfügbar - alle weiteren Aufführungen sind ausverkauft - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Matthias Horn
Zur dpk-Buchbesprechung Jedermann schreibt seinen Text
Zum dpk-Bericht über das Kleid der Buhlschaft Rockstar tauglich. Neid verdächtig.

 

 

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