Scharfsicht, auf das, was kommen wird
HINTERGRUND / FESTSPIELE / JUGEND OHNE GOTT
26/07/19 „Die Scharfsicht, auf das, was kommen wird ist das Wichtigste und Interessanteste an Horváths Literatur.“ So der Dramaturg Florian Borchmeyer über Jugend ohne Gott. Er sei erschrocken, als Zitate aus dem Stück plötzlich in der Realität in den Nachrichten zu lesen waren. Premiere ist am 28. Juli im Landestheater.
Von Heidemarie Klabacher
„Du hast doch eine sichere Stellung mit Pensionsberechtigung, und das ist in der heutigen Zeit, wo niemand weiß, ob sich morgen die Erde noch drehen wird, allerhand! Wie viele würden sich sämtliche Finger ablecken, wenn sie an deiner Stelle wären?! Wie gering ist doch der Prozentsatz der Lehramtskandidaten, die wirklich Lehrer werden können! Danke Gott, daß du zum Lehrkörper eines Städtischen Gymnasiums gehörst und daß du also ohne große wirtschaftliche Sorgen alt und blöd werden darfst!“
Acht Schauspieler und Schauspielerinnen werden in insgesamt vierzig Rollen auf der Bühne zu sehen sein. Einer von ihnen – Jörg Hartmann – wird die zentrale Rolle des Lehrers spielen. Dieser sinniert zu Beginn des Romans über sein Los in unsicheren Zeiten und versucht wacker, sich zu belügen: „Du kannst doch auch hundert Jahre alt werden, vielleicht wirst du sogar mal der älteste Einwohner des Vaterlandes! Dann kommst du an deinem Geburtstag in die Illustrierte, und darunter wird stehen: 'Er ist noch bei regem Geiste.' Und das alles mit Pension! Bedenk und versündig dich nicht!“ Er wird sich versündigen. Wie so viele. Wie wir alle, die wir etwa nicht heftiger gegen unsere letzte Regierung protestiert haben. Der Lehrer in Jugend ohne Gott immer hin wird sich retten. Es wird immer welche geben, die dann doch noch auf ihr Gewissen hören. Ob es genug sein/bleiben werden... Jugend ohne Gott, der Roman von Ödön von Horwáth, kommt bei den Festspielen dramatisiert auf die Bühne des Landestheaters.
„Das Stück ist eher wie ein Filmdrehbuch angelegt. Es gibt sehr kurze Szenen und sehr schnelle Wechsel“, sagt Florian Borchmeyer, der zusammen mit dem Regisseur Thomas Ostermeier die Theaterfassung erstellt hat. Da es „illusorisch“ sei, realistische Umbauten machen zu wollen, würden diese „theatralisch“ umgesetzt, gelegentlich werde man auf offener Bühne beobachten können, wie sich ein Schauspieler umzieht und eine andere Rolle annimmt.
Es sind Jugendliche, die in Roman und Stück ideologisch vereinnahmt, instrumentalisert und radikalisiert wird. Dafür stünde ein junges Ensemble zur Verfügung: „Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind um die Dreißig und nicht sehr weit entfernt von der Jugend.“ Man soll außerdem „den Effekt von kurzen Hosen nicht unterschätzen“, scherzt der Dramaturg. Ensemble-Gedanke und der Einheits-Charakter stünden „sehr im Vordergrund, um überhaupt ein solches Stück auf die Bühne bringen zu können“.
Aktualisiert werden müsse dieses Stück nicht, sagt Schauspiel-Direktorin Bettina Hering: Es bleibe in den 1930er Jahren verhaftet und sei dennoch automatisch aktuell. „Die Scharfsicht, auf das, was kommen wird – das sei das Wichtigste und Interessanteste an Horváths Literatur“, sagt denn auch der Dramaturg Florian Borchmeyer. Als er gerade am Stück gearbeitet hatte, sei er erschrocken gewesen, „Zitate aus dem Stück plötzlich in der Realität in den Nachrichten zu lesen im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Chemnitz vor einem knappen Jahr“.
Er erkenne in den 1930er Jahren eine Situation, der wir uns jetzt wieder nähern: „Die Figuren im Stück sind keine Faschisten, es sind Menschen, die in ein neues gesellschaftliches Korsett gezwängt werden.“ Jugend ohne Gott werfe die zentrale und zeitlos aktuelle Frage auf: Was passiert mit mir als normalem Mensch in einer solchen Situation, in der eine völkische Strömung die Macht ergreift? Der Lehrer etwa werde, so Borchmeyer aus „materiellem Zweckopportunismus“, konkret aus Angst um sein Einkommen, in seine Rolle gezwängt „die Schüler zu infiltrieren“.
Interessant sei die Sprache Horváths, die oft nur die Spitze des Eisberges verhandele., sagt Borchmeyer, der zusammen mit dem Regisseur Thomas Ostermeier die Stückfassung erstellt, sich mit der Sprache also intensiv auseinandergesetzt hat: „Die Tiefen sind häufig nicht explizit genannt, aber implizit vorhanden.“ Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler bestätigt: „Dieses Stück passt ideal in unsere Zeit.“
„Die Figuren im Stück, die jugendlichen Schüler mit ihren 14, 15 Jahren sind exakt im richtigen Alter, um bei Kriegseintritt Soldaten zu sein und eingezogen zu werden.“ Die Lesart der Inszenierung sei aber eine andere: Das Stück werde aus der Perspektive des Lehrers erzählt, der erschreckt sei von den Schülern, die ihn teilweise an Bestien erinnern. Die Rolle des N sei dafür exemplarisch: „Er sei der Prototyp des faschistischen Menschen.“ Der Lehrer sagt zu N, dass er in der Zukunft alles vernichten werde. Diese Projektionsfigur des Faschisten allerdings wird im Laufe des Stückes selbst zum Opfer und fleht den Lehrer an einem Punkt sogar um Hilfe an. „Nach dem Tod von N wird er zu einer Art schlechtem Gewissen, das zu dem Lehrer spricht.“
Diese Vielschichtigkeit macht die Komplexität dieses Stoffes aus. In einem anderen Jugendlichen, der sich als Täter herausstellt und von dem als Vertreter des Zeitalters der Fische gesprochen wird, sei der NS-Arzt Josef Mengele zu erkennen, der Morde begeht, nur um zu untersuchen, was beim Sterben passiert. „Dabei ist diese Figur nur ein verletzter 15-Jähriger, der zu Hause keine Liebe bekommt. Alle diese Figuren fragen im Laufe des Stückes nach Hilfe.“ Der Blick auf diese „faschistischen Exterminatoren“ sei ein gebrochener, die Fragilität der Figuren inbegriffen.
Obwohl Gott im Titel des Stückes vorkommt, sei es eher ein „Anti-Bekehrungsstück“, sagt der Dramaturg Florian Borchmeyer. Der Lehrer, der seinen Glauben im Ersten Weltkrieg verloren hatte, konsultiert dennoch einen Priester und wendet sich seinem Gott zu: „Ich erkenne ihn, aber ich mag ihn nicht“, sagt der Lehrer. Auch der Priester, der wie alle anderen auch unter enormen gesellschaftlichen Druck steht, kommt an den Punkt, an dem er sagt: „Gott ist das Schrecklichste auf der Welt. … Er straft.“
Das verweise, so Borchmeyer, Parallelen zur Rolle der Kirche in der NS-Zeit. Man sei mit einem Gott konfrontiert, der keine Nächstenliebe und keine Güte zulasse: „Ein Gott für die kalten Zeiten, der es nicht zulässt, dass man ihn ignoriert.“ Ödön von Horváth entlässt als Kontrapunkt den Lehrer in Jugend ohne Gott mit einem Akt der Zivilcourage, indem dieser seine Lebenslüge aufhebt und sich stellt. „Dieser Akt des Widerstandes wird als reale Möglichkeit gezeigt.“ Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler fasst zusammen: „Dieses Stück passt ideal in unsere Zeit.“