Skandal-Komponist diesmal elegisch
FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / PETRENKO 2
29/08/18 Wäre das Zapfenstreich- und k&k-Flair eines Gustav Mahler in der 1934 in Wien uraufgeführten „Letzten“ von Franz Schmidt tatsächlich greifbar, hätte spätestens Kirill Petrenko am Pult der Berliner Philharmoniker damit aufgeräumt und durch preußischen Kasernenton ersetzt.
Von Heidemarie Klabacher
Aber Franz Schmidt, dessen „Buch mit sieben Siegeln“ (in Taboris Inszenierung) die Festspiele einst einen ansehnlichen Kultur-Skandal verdankten, ging erstaunlich eigenständige Wege der Post-Romantik. Er hat sich in seiner Symphonie Nr. 4 C-Dur quer durch die Romantik zitiert, und doch – auf der Startposition des zu spät Gekommenen – einen ganz eigenen und eigenwilligen Zugang gefunden. Das beginnt mit dem eröffnenden Trompeten-Solo, dessen Tonmaterial leitmotivisch wiederkehrt und gar nichts von den sehnsüchtigen Trompetensignalen etwa bei Mahler hat.
Für Sentimentalitäten ist in der Lesart durch Kirill Petrenko kein Platz. Vielmehr staubt der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker (ab Herbst 2019) die ein wenig monumental geratene Opulenz in der „Vierten“ Schmidt gründlich ab. Und plötzlich tauchen Walzer-Fetzen auf, die so spannend klingen, wie die von Schönberg bearbeiteten. Partitur als Palimpsest: Der kernige Zugriff Petrenkos legt erstaunlich facettenreiche Tiefenschichten frei. Im Trauermarsch, auch so ein Topos der Romantik wie des Wienerischen, gehört eine zentrale fast ein wenig brucknernde Passage den Hornisten (eine Fanfare auf die grandiosen Blech- und die Holzbläser der Berliner Philharmoniker).
Doch bei aller Schönheit lassen weder Schmidt noch Petrenko und die Seinen ein Liebäugeln mit morbider Todesverliebtheit zu. Wohin dieser Kondukt führt, will man lieber nicht wissen. Zu unheimlich ist das leise Pochen der Pauke. Das wiederkehrende Trompetensolo führt auch eher im Kreis, denn in die Erlösung. Spannend!
Spannend, weil von weit außerhalb des Kernrepertoires ins Festspielprogramm geholt: Paul Dukas‘ La Péri – Poème dansé. Fanfare und Ballettmusik. Frappierend war etwa der Kontrast zwischen dem glasklaren Blechbläser-Sound der eröffnenden Fanfare und dem weichen Bläsersamt innerhalb des romantischen Tanzgedichtes: ein wiegendes perlenfischer-artiges Auf und Ab zwischen Flageolett- und Celesta-Flirren und weit ausladender dramatischer Opulenz. Darf auch mal sein.
Weniger spannend, weil von der Pianistin Yuja Wang – effekt- aber nicht ganz tritt-sicher in goldenen Superhigh-Heels und badekostümähnlicher Gewandung – zur virtuos und brillant, aber leblos abschnurrenden Maschinenmusik degradiert: Sergej Prokofjews Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26.
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli