Was für ein Kerl war Don Juan?
FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / KIRILL PETRENKO
27/08/18 Beide Dirigenten haben ihren eigenen Kopf, und beinah im Wochenabstand haben sie in Salzburg Beethovens „Siebente“ dirigiert: Einmal MusicAeterna unter Teordor Currentzis, jetzt die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko.
Von Reinhard Kriechbaum
So sehr es auf der Hand zu liegen scheint: Die orchestralen Voraussetzungen lassen keinen Vergleich zu: Hier die am Originalklang geeichten Musiker aus dem sibirischen Perm (was wäre dieses Orchester eigentlich ohne Currentzis?), dort das legendäre Kollektiv „mit dem größten Wumm“. Dieser Wumm ist unter dem designierten neuen Chefdirigenten (Petrenko übernimmt den Posten im Herbst 2019) noch entschieden ausgeprägter als sonst. Die am Sonntag (26.8.) im Großen Festspielhaus freigesetzte Energie war streckenweise schon beinah beängstigend.
Wenn Petrenko die Wahl hat zwischen Sturm voraus und Maßhalten, dann entscheidet er sich ohne jeden Zweifel für den Sturm. Das ist sein Temperament. Er hat es gerne zackig. Wenn er aufs Pünktlichste die Eins vorgibt, dann müssen die Bläser schon schauen, wo sie ihre Atemluft her bekommen.
Egal ob langsame oder schnelle Sätze, die Ergebnisse solcher Geradlinigkeit sind oft nicht weniger überraschend, als die musikalischen Bockssprünge des Kollegen Currentzis. Kirill Petrenko setzt alles auf die Motorik, er lässt konsequent die Energie über Zäsuren (die er so eng und verknappt hält wie nur möglich) weiterwirken. So setzt innerhalb eines Satzes kein Instrument bei Null an. Das hat etwas Mitreißendes. Vielleicht hatte Wagner, als er in Venedig zum Finalsatz tanzte – Liszt saß am Klavier – vergleichbar bezwingenden Drive mitbekommen. Auch bei Petrenko eine „Apotheose des Tanzes“ jedenfalls, aber sicherlich nicht auf Spitze und mit Tütü.
Im Klanglichen, an der tonlichen Ausgewogenheit innerhalb der Streicher, auch in der Durchhörbarkeit insgesamt wird noch viel zu arbeiten sein, wenn die Berliner und der jetzt noch an der Bayerischen Staatsoper wirkende Dirigent regelmäßig aufeinander losgelassen werden. Das hat man noch viel deutlicher zu Beginn mitbekommen, in Richard Strauss' „Don Juan“. Was ist das für ein Typ, den Petrenko hinstellt? Ein rabiater, durchtriebener, roher Kerl muss das sein, wahrscheinlich ein weißer alter Mann – und nicht nur die zarteren Holzbläser, überhaupt jede Nebenstimme in diesem überdrehten Geschehen droht, ein #metoo-Opfer zu werden. Petrenkos „Don Juan“ agiert weitgehend Charme-entkleidet.
Dann doch ein klein wenig ruhiger: „Tod und Verklärung“. Auch diese symphonische Dichtung ist 1889 komponiert worden, und man dürfte schon mehr romantische Gestik zulassen. Verklärung ist eben kein Wesenszug von Petrenko, und was den Tod angeht: Er ist auch unter der orchestralem Dampfwalze eher unerfreulich.
Hörfunkübertragung am 9. September um 11.03 Uhr in Ö1
Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli