Über die Perlen- und die Sopran-Fischer
FESTSPIELE / LES PECHEURS DE PERLES
24/08/18 Ganz so aufgelegt wie bei „Carmen“ war die Sache für Georges Bizet bei „Les Pêcheurs de perles“ nicht. Spanischer Lokalkolorit macht sich gleichsam von selbst. Aber jener von Sri Lanka? Damals hieß die Insel noch Ceylon und war, so wie noch heute, musikalisch gesehen Terra incognita.
Von Reinhard Kriechbaum
In exotischem Nirwana spielen Bizets „Perlenfischer“, die sich empfehlen für einen Spitzenplatz auf der schwarzen Liste hanebüchener Opernhandlungen. In den frühen 1860er Jahren hatte man in Europa herzlich wenig Ahnung von den Sitten und Gebräuchen der Völker. Aber nach solchen Kriterien darf man ein Opernlibretto sowieso nicht durchforsten. Es geht darum, den Komponisten Stoff für große Gefühle zu liefern. In Les Pêcheurs de perles kochen diese auf Siedehitze. Zwei Jugendfreunde, einst in dieselbe schöne Priesterin verliebt, haben ihre Freundschaft gerettet, indem sie – vermeintlich – beide dieser Traumfrau entsagten. Diese wiederum schneit als verschleierte Jungfrau jetzt herein, um mit ihrem Gesang (wie praktisch in einer Oper!) den Gott Brahma und die Meeresdämonen günstig zu stimmen für die Muschelknacker-Saison. Schon in der ersten Nacht ist es ob eines etwas aufdringlichen Tenors um die die Unschuld der Dame geschehen und die Dinge nehmen ihren Lauf. Am Ende steht ein Begnadigungs-Akt, in dem Philanthropie eimerweise verschüttet wird.
Das also hat Bizet, im Wissen um den Mangel eines eindeutigen musikalischen Idioms, ein wenig kryptisch vertont, indem er manchmal mit Tamburin und Triangel illustrierte und häufig – das ist das Interessantere an dieser Partitur – hinaus grast aus der sicheren Weide der üblichen Harmonik. Es lohnt, da genauer hin zu hören.
Ein solch genauer Hinhörer ist Riccardo Minasi, Chefdirigent des Mozarteumorchesters. Er ist einer, der über Musik mit viel aufführungspraktischem Wissen reflektiert. Und weil er zugleich der Temperamentvollsten einer ist, dreht er gerne an der Temposchraube. Da ist der Effekt sicher. Der Jubel am Donnerstag (23.8.) im Großen Festspielhaus war nicht nur der illustren Sängerschar mit Placido Domingo an der Spitze geschuldet, sondern auch manchem orchestralen (Stroh-)Feuer. Pauschales Kompliment an die Damen und Herren des Mozarteumorchesters.
Aber war das Ergebnis wirklich Bizet? Der Detail-Blick Minasis wirkt mitunter entlarvend, macht überdeutlich, warum die „Perlenfischer“ nie in die Charts des Gernres gekommen sind. Tolle vokale Gestik, ja. Aber auch Lieschen-Müller-Melodik, die in ihrer Einfalt erst so deutlich herauskommt, wenn ein Analytiker mit rasender Unbarmherzig auch die Schwächen einer Partitur aufdeckt. Da sehnte man sich (nicht nur im überdrehten Eröffnungschor) nach einem g'schlamperten Opernkapellmeister, der das Melos einfach seine Bahn finden lässt...
Bei den konzertanten Opern der Festspiele geht es in der Hauptsache um den vokalen Glanz. Wieder einmal hat Placido Domingo, unterdessen 77, „seine“ Rolle gefunden: Zurga, der Bariton im Duo der Männer-Seilschaft in Sachen Liebesverzicht. Domingos Bühnenpräsenz ist legendär, und diese Rolle hält obendrein viele kantable Linien in einem Register bereit, in dem Domingo mehr als die Ahnung seiner großen Tenor-Vergangenheit vermittelt. Die Soloszene im dritten Akt, da Zurga Selbstzweifel plagen und er vom hasserfüllten Rächer zum Humanisten mutiert, macht ihm an gestalterischer Überzeugungskraft keiner so schnell nach.
Javier Camarena alias Nadir ist der Tenor-Gegenspieler. Nicht so souverän wie gewohnt in der Romanze „Je crois entendre encore“, dem einzigen bekannt gewordenen Tenor-Schmachtfetzen dieser Oper (in zugegeben exorbitant ausgesetzter Höhenlage). Im Lauf des Abends wird er deutlich konturenstärker. Übrigens: Nadirs harfenbegleitetes „Chanson“ im zweiten Akt, hinter der Bühne gesungen, klingt so, als ob Bizet drei Jahrzehnte vor Mascagni die Eröffnung der „Cavalleria rusticana“ vorkomponiert hätte. Beinahe Zwillinge!
Ganz hoch gehandelt wird im Moment die Sopranistin Aida Garifullina. Je bewegter, je mehr Koloraturen, desto mehr brillierte sie als Leila, die lyrische Komponente hat sie eher ausgeblendet. Viel Metall, viel Kraft, entsprechend viel Jubel für sie. Zwischentöne waren an dem Abend der Salzburg-Debütantin Stärke nicht, schienen auch seitens des Dirigenten nicht wirklich eingefordert. Vierter im Bunde war Stanislav Trifomov als Nourabad. Der ist so etwas wie der Ordnungshüter im Hexenkessel der Emotion, und da ist Trifomovs gut geerdeter schwarzer Bass denkbar gut eingesetzt.
Viel zu tun hat in der „Perlentauchern“ der Chor, blendend einstudiert und gewandt der Philharmonia Chor Wien in der Einstudierung von Walter Zeh. Etwas nachgiebigere Tempovorgaben hätten auch in dem Bereich etwas gebracht.