Klage und dennoch Lebenslust
FESTSPIELE / CAMERATA / NORRINGTON
19/08/18 Das dritte Konzert der Camerata Salzburg bei den Festspielen stand unter dem Motto „Klagemusiken“. Der verehrungswürdige Roger Norrington und die charismatische Patricia Kopatchinskaja gestalteten einen berührenden Konzertabend am Samnstag (18.8.) im Großen Saal des Mozarteums.
Von Gottfried Franz Kasparek
Sir Roger, 84 Jahre und pfiffig wie eh und je, dirigiert jetzt sitzend, was ein wenig an den unvergesslichen Sándor Végh erinnert. Nicht nur bei Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester im Finale des Konzerts. Auch bei den beiden Symphonien Joseph Haydns, die zwei Klassiker der Moderne sozusagen begleiten, leitet er die klangschön und akkurat aufspielende Camerata mit knappen Gesten und beschwörenden Blicken.
Ob die „Trauersymphonie“ in e-Moll aus dem Jahr 1771 und „La Passione“ in f-Moll von 1768, beides frühe Zeugnisse von Haydns expansivem Geist, wirklich zumindest in Teilen Klagemusik sind oder der ernste Gestus der Stücke bloß findige Verleger zu den Verkauf fördernden Beinamen veranlassten, sei dahingestellt. Der unbestreitbar tragische Charakter der langsamen Sätze wird mit transparenter Klarheit und getragener Würde musiziert. Desto lebendiger, dramatischer und pulsierender erklingen die rasanten Finali. Und auch ein Norrington findet in reifen Jahren zu erstaunlich atmenden und langsamen Tempi in den Menuetten, so sehr die Originalklangschule seine Interpretation bestimmt. Ob in den Symphonien für Esterháza ein Cembalo wirklich noch vonnöten ist, bleibt die Frage – es klingt in dieser Lesart jedenfalls mitunter bezaubernd.
Zweifellos Musik der Klage über den Faschismus und der Trauer über dessen Opfer ist das „Concerto funebre“ für Violine und Streichorchester von Karl Amadeus Hartmann von 1940. Dabei übernahm Patricia Kopatchinskaja nicht nur das expressive Solo, sondern auch die Leitung des Orchesters. Mit vollem Körpereinsatz spielt sie den Solopart hinreißend emotional und lotet die Ausdruckstiefen des immer wieder erschütternden Werks ebenso aus wie die einkomponierten Schreckensschreie. Ein Wechselbad aus dunkler Schwermut und intensiver Anklage.
Mit großen Gesten, großen Augen und geradezu kultisch anmutenden Pantomimen feuert sie das merkbar begeisterte Orchester an, ihr dabei nicht nur zu folgen, sondern auch im Wortsinn mitzuspielen. Der am Ende aller Bewegtheit zum Trotz einsetzende Jubel wird mit einer schlüssigen Zugabe gedämpft. Die Kopatchinskaja stimmt den im Finalsatz von Hartmanns Stück zitierten russischen Choral „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin“, eigentlich ein Revolutionslied, mit ergreifender Schlichtheit an, die Camerata stimmt sekundierend und summend mit ein und folgt ihr auf dem Weg hinter das Podium. Dann treten alle miteinander noch einmal auf und nehmen den gerührten Applaus entgegen.
Apropos: Wäre es nicht hoch an der Zeit für „Zeit mit Hartmann“ bei den Festspielen? So einzigartig das „Concerto funebre“ auch sein mag, so des Erinnerns und Überprüfens wert ist das Gesamtwerk des stilistisch zwischen Tradition und Avantgarde verorteten, sehr eigenwilligen Münchner Komponisten. Da gäbe es viel große Musik zu entdecken, die aus unerfindlichen Gründen ein Schattendasein im Repertoire führt.
Nach der Pause also Haydns Leidens- (oder eher Leidenschaften-)Symphonie „La Passione“ und zum wahrhaft krönenden Abschluss Bartóks Divertimento. Auch dies ein Werk aus dem finsteren Jahr 1940, auch dies, vor allem im Mittelsatz, eine freilich gefasste Klage über den Irrsinn der Zeit. Und doch, aus den ungarisch inspirierten Tanzweisen der Ecksätze spricht immer wieder trotzige, unversiegbare Lebenslust, die von Roger Norrington und der wundersam fein und konzis, elegant und dennoch scharf akzentuiert aufspielenden Camerata mit applaustreibender Verve dargestellt wird.