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Wem das Volk nachläuft

HINTERGRUND / FESTSPIELE / THE BASSARIDS

15/08/18 Uraufgeführt wurde Hans Werner Henzes Oper „The Bassarids“ im Jahr 1966 im Großen Festspielhaus. „Heute sieht man dieses Werk aus einer ganz anderen Perspektive“, sagt Kent Nagano, der es ab morgen Donnerstag in der Felsenreitschule dirigieren wird.

Von Anne Zeuner

Ein Meisterwerk der Kompositionskunst – so beschreibt Kent Nagano die Oper. „Wir mussten in den Proben sehr tief gehen, um die ganze Palette der Farben, der Sehnsucht, der Emotionen und auch der Dramaturgie darzustellen“, sagt der Dirigent. Aber Nagano schränkt auch ein: Früher seien „The Bassarids“ als mutig empfunden worden, als eine neue Sprache. Heute gehe er vorsichtig mit manchen Vorgaben des Komponisten um, etwa wenn da ein vierfaches Forte steht. Denn das habe Henze damals geschrieben, um einen Effekt zu betonen – nämlich ein Spielen ohne Grenze. Heute sei das rein technisch gesehen nichts mehr Neues, daher gehe er sehr sensibel mit diesen Angaben des damals jungen Komponisten um.

Man habe einerseits die familiäre Ebene und andererseits die gesellschaftliche Perspektive in der Oper, sagt Regisseur Krzysztof Warlikowski. Die Bassariden, das seien die Bürger Thebens, die sich hinreißen lassen vom Dionysus-Kult. Es gibt den Anfang und das Ende – diese Teile seien von der Vernunft der Bürger geprägt – und es gebe den Mittelteil, in der die Willkür und das Chaos herrschen und in der das Volk einem Hochstapler aufsitze. „Henze setzt den inhaltlichen Schwerpunkt in dieser Oper auf die Masse, auf das Volk“, erklärt der Regisseur. Am Ende würden alle verstehen, in welchem Chaos sie sich befänden, wobei niemand sagen könne, wie sie dorthin geraten seien.

„In der Zeit der Uraufführung war ein Hauch von Freiheit nach dem Krieg zu spüren“, so Krzysztof Warlikowski. „Dem Wunsch der Masse nach einer Richtung setzt Henze einen Propheten vor – Religion als Opium fürs Volk, ich denke das wollte Henze mit dieser Oper sagen. Er zeigt ein Volk, das das Dionysische attraktiver findet als das Biedere des Pentheus.“ Er sei mit einer Menge Fragen im Kopf zur ersten Präsentation des Stückes nach Salzburg gekommen, verrät der Regisseur. Und nun möchte er dieselben Fragen auf die Bühne stellen. „Manchmal kann die Sprache keine Antwort auf eine Frage geben. Und genau da setzt dann die Musik ein“, sagt Krzysztof Warlikowski. Die breite Bühne in der Felsenreitschule teilt er in vier Abschnitte ein: Der mittlere Teil sei der Krönungsort, rechts sei das Schlafzimmer der Agave und damit ein intimer Ort, links finde man die Kultstätte und einen Berg, der nach oben strebe und mit allen anderen Ebenen in Wechselwirkung stehe.

Dass sie in den ersten Tagen rein musikalisch arbeiten konnten, habe Sängerin Tanja Ariane Baumgartner als großes Glück empfunden, sagt sie. „Danach durften wir uns eine ganze Woche lang auf der Originalbühne in der Felsenreitschule austoben“, das gebe sehr viel Sicherheit. „Wir hatten Zeit, detailliert durch das Stück zu gehen“, sagt sie. Auch Sängerkollege Sean Panikkar zeigt sich glücklich über die lange Probezeit: „Es gab Zeit zu experimentieren und kreativ zu sein. Selbst bei der Generalprobe war noch nicht alles in Stein gemeißelt und wir haben noch eine kleine Änderung vorgenommen, das schätze ich sehr“, sagt der Sänger, der den Dionysus singt. Russell Braun, der die Rolle des Pentheus übernimmt, betont, wie wichtig ihm die Offenheit der Kollegen bei den Proben gewesen sei. „Ein sensibler Künstler muss sich während der Proben auf Änderungen einstellen und nicht zu rigide an ein Stück herangehen, damit es sich entwickeln kann“, sagt er. Genau das sei hier passiert. Niemand habe sich gesträubt und jeder habe sich auf Experimente eingelassen.

Nach längerer Diskussion habe man sich entschieden das originale Libretto zu nutzen und die englische Fassung der Oper auf die Bühne zu bringen, sagt Kent Nagano. (Für die Uraufführung einst wurde die deutsche Fassung genutzt.) Auch Kent Nagano zeigt sich dankbar über die fundierte musikalische Probezeit. „Wir haben in den ersten Proben sehr viel diskutiert“, sagt er. „Aber das hilft am Ende sehr viel, wenn man das Werk in einen so besonderen Ort wie die Felsenreitschule transferiert“, sagt er. Diese Bühne sei ein Ort, an dem Magie möglich ist. Oft stünden die Sänger in der Inszenierung so weit weg von ihm, das er sie gar nicht sehen könne, trotzdem aber sei durch die intensive Probenzeit eine Kommunikation durch einen ästhetischen Instinkt möglich, sagt er.

Wie er „The Bassarids“ aus heutiger Sicht betrachte? „Es bietet uns viele Perspektiven“, sagt Regisseur Krzysztof Warlikowski. Er zieht etwa den Vergleich zu Europa, das sich heute durch die Stimmen der Rechtsradikalen einlullen lasse. „Im 20. Jahrhundert passiert etwas, das wir eigentlich schon als abgeschlossen geglaubt hatten“, sagt er. Oft fühle er sich bei diesem Thema als Pole fremd in seinem eigenen Land. Genau das komme in der Oper auch zum Ausdruck und vielleicht könne die Musik eine Antwort auf gewisse Fragen geben.

„ The Bassarids“ von Hans Werner Henze: Aufführungen am 16., 19., 23. und 26. August in der Felsenreitschule – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner

 

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