Josef K. und der wortgewandte Schweigestaat
FESTSPIELE / DER PROZESS
15/08/18 Historiker verbieten sich die Frage „Was wäre, wenn...“ Hört man heute Gottfried von Einems Oper „Der Prozess“, denkt man freilich darüber nach: Was für Neue Musik, was für neue Opern wären herausgekommen, hätte Gottfried von Einem, ab 1948 Direktionsmitglied der Salzburger Festspiele, tatsächlich Brecht „ins Boot“ holen dürfen?
Von Reinhard Kriechbaum
Die prägnanten Szenen, die Partitur, aus der es immer wieder unverhohlen jazzelt – unwillkürlich drängt sich beim „Prozess“ der Vergleich mit dem Musiktheater von Brecht/Weill auf. Gottfried von Einem musste 1951 ob der „Affäre Brecht“ (es ging um die österreichische Staatsbürgerschaft für den staatenlosen Dichter) in Salzburg den Hut nehmen. So abgrundtief der Komponist in Salzburg kurzfristig in Ungnade gefallen war, konnte diese seine Oper doch 1953 bei den Festspielen uraufgeführt werden. Ein Schelm, der Zusammenhänge erkennen will zwischen den „kafkaesken“ politischen Querelen rund um Einem/Brecht und der Entscheidung des Komponisten just in dieser zeit für diesen Stoff von Kafka.
Der legendäre Josef K., der sozusagen auf freiem Fuß festgenommen wird, dem der Prozess gemacht wird wegen unausgesprochener Dinge, von einem Gericht, das seine Absichten verschweigt, geschweige denn seine Ideologie preisgibt: Da sind wir eindeutig auch in der politischen Jetztzeit angelangt, da Populisten allerorten und leider zu oft mit Erfolg die Unabhängigkeit der Gerichte torpedieren. Schade irgendwie, dass es bei einer konzertanten Aufführung geblieben ist. Da ließe sich szenisch viel rausholen.
Wiedererwecken muss man die Musik nicht, sie lebt. Das zeigte die Aufführung am Dienstag (14.8.) in der Felsenreitschule durch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter H. K. Gruber nachdrücklich. Der 75jährige ist als einstiger Schüler, dann als Kollege und Freund Einems ein mehr als authentischer Interpret. Für die in dieser Partitur latent lauernde Ironie ist H. K. Gruber mit seinem open mind sowieso recht am Platz. Mit schneidender Schärfe und akkurater Metrik zieht H. K. Gruber das durch, formal übersichtlich. Das ist ja dann der entscheidende Unterschied zwischen Kurt Weill und Gottfried von Einem: Letzterer war viel eher „Symphoniker“, und selbst das Knallige ist, von der Zwölfton-Passacaglia der ersten Szene weg, ist stets in größere Formen gefasst.
Die Musik: Kaum in einer anderen Oper wird so viel auf einen Ton gesungen wird. Einem verlangt den Protagonisten äußerste deklamatorische Präzision ab, es ist eigentlich Sprechtheater mit anderen Mitteln. Es ist der Rhythmus, der Vokal- und Instrumentalebene miteinander verbindet. Kantilenen sind selten. So richtig gesanglich wird’s nur, wenn die jungen Damen dem Josef K. ihre Dienste anbieten. Bestens herausgekommen ist in dieser konzertanten Wiedergabe der dramaturgische Sinn Einems. Es geht unter die Haut, wie sich die Dinge musikalisch verdichten, wie sich aus dem eher beiläufigen orchestergestützten Parlando des Beginns über die nicht ganz zwei Stunden hinweg im Orchester die dunklen Wolken zusammenbrauen. „Die Herren werden schwere Arbeit haben“, sagt Josef K. Zuletzt – trotzig, mit dem Mut der verzweiflung, längst ber jeder realen Hoffnung.
Michael Laurenz ist dieser Josef K., ein Sänger, der auch in rhythmisch kniffligsten Passagen keine Abstriche an tenoraler Strahlkraft zu machen braucht. So aussichtslos seine Lage von vornherein ist (in die er sich ja auch fügt), ist dieser Josef K. Ja einer, der viel fragt, viel widerspricht und in biedersinniger Naivität die Staats-Maschinerie zu hinterfragen sucht, in deren Zahnrädern er längst zermalmt wird. Diese rührende Aufrichtigkeit bringt Michael Laurenz höchst überzeugend heraus, aber auch das steigende Misstrauen jenen Damen gegenüber, die sein Bestes zu wollen behaupten. Ilse Eerens singt sie (wie vom Komponisten gedacht) in Personalunion: Fräulein Bürstner, die Frau des Gerichtsdieners, Leni, ein buckliges Mädchen – sie alle umgarnen Josef K. Auf irgendeine Weise und es bleibt offen, ob ihre Avancen aufrichtig sind oder ob sie, modern gesprochen, undercover dem System-Moloch zuarbeiten
Auch Ilse Eerens (in der Salzburger Uraufführung sang Lisa della Casa diese Rollen) besticht mit feiner Deklamation, wie überhaupt die sprachliche Akkuratesse an diesem Abend höchst eindrucksvoll war: Jochen Schmeckenbecher, der wortgewaltige Bass für all die System-Schurken (u.a. der Aufseher und der Gefängniskaplan), Lars Woldt als anpässlerisch-verschlagener Prügler, Matthäus Schmidlechner als selbstgewiss-herablassender Student/Direktor-Stellvertreter: Sie machten glaubhaft, wie die Typen klingen, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Auch einem solchen tenor-Strahlemann wie Jörg Schneider (der Maler Titorelli, eine höchst zwielichtige, gerichtsnahe Figur) traute man besser nicht über den Weg.
Auch die kleineren Rollen waren sprachlich ganz wunderbar genau gearbeitet, von Anke Vondung (Frau Grubach) über die Johannes Kammler, Tilmann Rönnebeck, Alexander Hüttner, Martin Kiener, Daniel Gutmann. Die vielen Mehrfachrollen machen in dem Werk deutlich, von wie vielen Seiten Gefahr lauert in diesem faulen, aber betriebsamen und wortgewandten Schweigestaat.