Auch in Nordafrika menschelt‘s
FESTSPIELE / L‘ITALIANA IN ALGERI
09/08/18 So treffsicher und amüsant umgesetzt musste im Gedenkjahr an Gioacchino Rossinis 150. Todestag seine „Italienerin in Algier“ zu Pfingsten zwangsläufig zum umjubelten Triumph für alle Beteiligten werden. Eine Aufführung, absolut der Übernahme (das Programmheft spricht von Wiederaufnahme) ins sommerliche Festspielprogramm wert.
Von Horst Reischenböck
Die Ausgangslage war vor zweihundert Jahren genauso aktuell wie heute: Maskuliner Wahn im Bann zweiten Frühlings, überdrüssig der langjährigen Partnerin, auf der Suche nach einer neuen, jüngeren, aufregenderen Lebensgefährtin. Wobei‘s der Islam, anders als bei uns, durch bloßes Verstoßen einfacher macht. Dies, obwohl das entsprechende Paradebeispiel Mustafà ansonsten mit der Religion nichts am Hut hat, wenn er seine Elvira mit dem italienischen Sklaven Lindoro verbandeln und beide in dessen Heimat abzuschieben gedenkt. Haly, den Anführer der auf Raub von Unterhaltungselektronik spezialisierten Anführer der Korsaren, beauftragt er, ihm zur Auffrischung eine spritzige, aufregende Italienerin herbei zu schaffen, was diesem überraschenderweise auch prompt gelingt. Nicht ahnend, welche Probleme er sich mit dieser Isabella dann an den Hals schafft. Sie wird begleitet vom einigermaßen einfältigen Taddeo, der sich als Isabellas Zukünftiger fühlt. Nicht wissend, dass Isabella eigentlich nach ihrem geliebten Lindoro Ausschau hält.
Ein ideales Sujet zu einer wirkungsvollen Komödie, vielleicht auch geeignet, in manchem Hörer Selbsterkenntnis auszulösen. Das Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier hat die Geschichte in Agostino Cavalcas Kostümen gekonnt augenzwinkernd ins Heute übertragen und mit zahlreichen liebevoll charakterisierenden Details aufgepeppt. Schon zur Ouvertüre: Elvira macht Mustafà im Bett Avancen, im Schattentheater oberhalb betreiben zwei Kamele ihr Liebesspiel. Unwillig flüchtet er auf die Toilette, die Männer bekanntlich ohnedies des Nächtens mehrfach aufsuchen müssen. Diener Lindoro tritt dann mit dem Staubsauger auf. Bühnenbildner Christian Fenouillat verwandelte dann die Szene in Algiers Straßenlandschaft. Von dessen Balkonen aus stören sich Bewohner unwillig an Lindoros Liebesseufzern. Nur ein liegendes Kamel dreht ihm aufmerksam den Kopf zu. Mustafà verlädt Lindoro dann in einen nicht mehr ganz taufrischen Mercedes.
Durch dieselbe Straße führen schwer bewaffnete Korsaren gekaperte Gefangene, Isabella hingegen darf ein Kamel reiten, welches offenkundig unangenehm Riechendes hinterlässt. Wenig später rauchen Mustafàs Landsleute Wasserpfeifen und folgen begeistert seinen Ausführungen, wie er die Italienerin gefügig zu machen gedenkt.
Elvira und ihre Freundin Zulma schneiden zu Beginn des zweiten Akts Gurken. Dann bereitet sich Isabella in der Badewanne auf das nicht ganz friktionsfreie Kaffee-Tête a tête mit Mustafà vor, den sie in BH und Höschen nahezu vollständig um den Verstand bringt.Das Ganze von Haly kommentiert und, betreffs italienischer Weiblichkeit, mittels Anita Ekbergs Fontana Trevi-Szene mit Marcello Mastroiani aus Fellinis „8 1/2“-Film visualisiert. Isabella stärkt ihre gefangenen Landsleute mit Spaghetti. Der Fußball-Mannschaft mit emotionalen „Pro Patria“-Gefühlen schmeckt Couscous offenbar doch nicht so ganz.
Es gilt noch, Mustafà mit der Zeremonie zum Pappataci zu düpieren, den seine Gattin tröstet, nachdem er essen-schweigend die Flucht miterleben musste. Zu guter Letzt triumphieren Isabella und Lindoro auf einem Schiff wie weiland die Titanic, auch Taddeo, angesichts der anstehenden Rückkehr in die Heimat.
Das ist also alles detailverliebt und, wie es einem witzigen Dramma giocoso geziemt, verspielt umgesetzt. Vom Orchestergraben aus animiert Jean-Christophe Spinosi. Er schärft die Feinheiten der Ouvertüre und reizt den klang auch im folgenden immer wieder pointiert aus. So wie auch Luca Quintavalle am Fortepiano in den Rezitativen. Innerhalb der Originalinstrumente des Ensemble Mattheus mussten am Premierenabend (8.8.) nur die Hörner geringfügig der Gewitter-bedingt steigenden Temperatur im Haus für Mozart Tribut zollen. Hier gab's keinen Wassereinbruch, aber die Klimaanlage fiel ebenso aus wie zwischenzeitig die Textprojektionen.
Der durch Walter Zeh erneut hervorragend einstudierte Philharmonia Chor aus Wien durfte sich wie die Sänger entsprechend ihres Temperaments rundum bestens getragen fühlen. Von Anfang an überzeugt Ildar Abdrazakovs fundamentaler Bass. Er begeistert er Mustafà mit umgeschnalltem Bauch im Ausspielen komödiantischer Fähigkeiten. Im selben Register und gleichfalls durchschlagskräftig José Coca Lozas Haly. Spielwitz, gepaart mit koketter Weiblichkeit, darf man von Cecilia Bartoli allemal erwarten. Als Isabella peilt sie vom Mezzo-Register aus locker die gelegentlich aberwitzigen Koloraturen an. Nicht nur aus den Zungen-brechenden Ensembles stechen Rebeca Olveras Sopranhöhen der Elvira heraus, ihr zur Seite eher Stichwortbringerin Zulma alias Rosa Bove. Der Bariton Alessandro Corbelli ist als Taddeo der Mitleidens-wert ausdrucksstarke Gegenpol zu Edgardo Rochas Lindoro, der seinen Tenor doch etwas forciert in die Höhen stemmt (das war zu Rossinis Tagen technisch nicht üblich und wurde vom Komponisten auch später absolut abgelehnt). Kollege Rolando Villazón hörte ihm übrigens aufmerksam vom Parterre aus zu.