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Nirgendwo kein Skandal

FESTSPIELE / PIQUE DAME

06/08/18 Der „Fledermaus“-Schreck von 2001 sitzt ja noch tief und hat auf „Skandal“ immerhin spekulieren lassen. Doch Hans Neuenfels bringt „Pique Dame“ mit großmeisterlicher und großbürgerlicher Grandezza auf die Bühne. Einige wenige Kammerspiel-Momente im Monumentalen lassen das Blut gefrieren. Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker triumphieren mit Tschaikowski.

Von Heidemarie Klabacher

Die alte Dame hat die schnatternden Zofen hinaus gejagt und sitzt jetzt allein in ihrem sterilen, gleißend weiß ausgeleuchteten Schlafzimmer. Sie träumt von jenen lang vergangenen Tagen, in denen die Menschen noch zu tanzen und zu singen verstanden und ihre eigene Schönheit den größten Männern Herzklopfen bereitet hat... Da schneit, wie eine Traumgestalt, ein junger Mann herein. Für die alte Gräfin ist er ein verzweifelt herbeigesehntes Wahnbild eines Liebhabers von „damals“. Doch der selber längst verzweifelte und wahnsinnig gewordene Hermann in seiner lächerlichen Nussknacker-Uniform ist gekommen, ihr das Geheimnis der „Drei Karten“ zu entreißen, wenn nötig mit Gewalt…

Das war mit Abstand die bewegendste Szene, dieses großen prächtigen „festspielwürdigen“ Opernabends, an dem es herausragende sängerische Leistungen zu bejubeln galt und die Wiener Philharmoniker von Mariss Jansons einmal mehr mit mitreißender Verve und klugem Ziehen aller Register zwischen opulentem Tutti und feinstem Solo zum Triumpf geführt worden waren.

Hanna Schwarz, Debüt 1975 in Bayreuth, gab in der Pique Dame-Regie von Hans Neuenfels die Gräfin: jene schwerreiche exzentrische Dame, der der Moskauer Society-Klatsch eine teuflische Macht über das Kartenglück andichtet. Hanna Schwarz spielt sie als einsame, eher schrullige, denn dämonische alte Dame. Rote Samthandschuhe und grüne Masche auf dem Bauch, für die Kostüme zeichnet Neuenfels‘ Mitstreiter Reinhard von der Thannen, sind ebenso geschmacklos, wie die rosa Strümpfe. Bei aller Strahlkraft und Souveränität der „Jungen Stimmen“ überwältigende Hanna Schwarz mit ihrer Partie darstellerisch und sängerisch.

Ihre Erinnerungs- und Sterbeszene – zwischen mystischem Liebestod und brutaler Ermordung – ist das kammerspielfeine Herzstück der Produktion. Von den Zofen mit eleganten Bewegungen entkleidet und auch der roten Pagenfrisur-Perücke ledig, bleibt übrig: eine einsame Frau. Mit profunder dabei immer schlanker Stimme, die sie auch in der Tiefe und in den energischen Ausbrüchen nie forcieren muss, beschert Hanna Schwarz den sängerischen Höhepunkt mit ihrem traumverlorenen „Je crains de lui parler la nuit…“

Evgenia Muraveva, die als Lisa vor allem im schlichten weißen Hängekleid (und nur einmal am Arm des Kurzzeit-Verlobten Jelezki in großer Robe) auftritt, begeistert mit ihrer Natürlichkeit in der Darstellung und mit der vollkommenen Gerundetheit ihrer über alle Lagen vollendet kontrolliert geführten Stimme. Grandios, wie sie viel zu spät erkennt, dass dem geliebten Hermann, für den sie die „Partie“ mit dem wunderbaren Fürsten Jelezki hat sausen lassen, das Kartengeheimnis der Großmutter wichtiger ist als sie. Eine wunderbare Sing-Schauspielerin.

Brandon Jovanovich ist der Hermann dieser Produktion: Er leidet darunter, mit seine reichen „Freunden“ im Spiel nicht mithalten zu können und geriert sich als eine Art „Reiner Tor“ in knallroter gold-betresster Uniform. Übersteigertes Geltungs- und mangelndes Selbstbewusstsein haben ihn schon längst gebrochen. Der Plan, seiner Kumpane, ihn mit dem Märchen vom Geheimnis der „Drei Karten“ noch mehr zu tratzen, beschleunigt nur den längst angetretenen Weg in den Untergang.

Da spielt nichts „Dämonisches“ mit. Es ist nur die Lust einiger reicher Müßiggänger, einem der nicht ihresgleichen ist, übel mitzuspielen. Dass es gar so Tragisch ausgeht, macht Tomski, Tschekalinski und Surin am Ende durchaus ein wenig ein schlechtes Gewissen... Vladislav Sulimsky, Alexander Kravets und Stanislav Trofimov mit ihren Pelzmänteln halten die Story, deren „Antreiber“ sie zugleich sind, als Klammer zusammen. Gerne mehr gehört hätte man von Igor Golovatenko, der einen würdevollen Fürsten Jelezki gibt. Die „kleineren“ Partien sind meisterhaft gecastet, stimmlich und darstellerisch brillant. Bei aller Monumentalität des Bühnenraums schafft es Christian Schmidt, wenigstens den Spielsalon fast ein wenig veraucht aussehen zu lassen..

Träger allfälliger „politischer“ Botschaften sind der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor – ein ganz großes BRAVO – und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Einstudiert von Wolfgang Götz bzw. Ernst Raffelsberger vermitteln die beiden Chöre das Bild einer erstarrten Gesellschaft: Die Kinder werden im Wortsinn „am Gängelband“ geführt. Fröhliches Treiben am lauen Sommertag findet in militärischen Formationen und kostümmäßiger Gleichschaltung statt. Den Soldaten werden die Wonnen künftigen Verheiztwerdens ehzeitig nahegebracht. Lisa und die jungen Frauen gehorchen der Gouvernante aufs Wort. Polinas Aufbegehren mit kurzen Hosen – brillant gezeichnet von Oksana Volkova –  führt nirgendwo hin. Die Zarin Katharina hat ihren Auftritt als glitzerndes Skelett.

All das ist politischer meisterhafter „Neuenfels“, halt aus der Hochglanzabteilung. Schlechtes Gewissen wegen der „Fledermaus“? Ein wenig mehr Radikalität hätte er dem Festspielpublikum nach 17 Jahren Erholungszeit schon zumuten dürfen.

Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz; Monika Rittershaus (2)
Pique Dame wird von Servus TV, NHK und UNITEL in Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern und den Salzburger Festspielen aufgezeichnet und wie folgt ausgestrahlt: 16. August um 20.45 Uhr bei Servus TV Deutschland und um 21.15 Uhr bei Servus TV Österreich; Herbst 2018 bei NHK Japan (genauer Termin wird noch bekannt gegeben)

 

 

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