Der Prophet im Fell und das starke Pferd
FESTSPIELE / SALOME
29/07/18 Statt sieben bunten Schleiern ein schwarzes Höschen. Salome tanzt nicht. Würde sie wegen Mordauftrags und Leichenschändung vor Gericht stehen, wäre es ein Leichtes, für mildernde Umstände ob Traumatisierung durch erlittene sexuelle Gewalt zu plädieren.
Von Reinhard Kriechbaum
„Saxa“, Felsen, steht auf dem güldenen Ding, und im Verlauf des Tanzes, der allein aus dem Orchestergraben tönt, senkt sich langsam ein tatsächlicher Felsbrocken auf diese grazil-zerbrechliche Salome. Salome kniet halbnackt da, mit eingezogenem Kopf , mit einem schwarzen lederband um den Oberkörper gefesselt. Sie hat eindeutig mehr erlitten, als von den Männern – von Narraboth, von Herodes, wahrscheinlich von vielen anderen – lüstern begafft worden zu sein. Der Blutfleck am weißen Kleid, das sie bisher getragen hat, lässt keinen Zweifel.
Wahrscheinlich ist Salomes Herz versteinert. Würde sie wegen Mordauftrags und Leichenschändung vor ein heutiges Gericht gestellt, wäre es für Psychiater ein Leichtes, für mildernde Umstände ob Traumatisierung durch erlittene sexuelle Gewalt zu plädieren.
Das sind keine neuen Ansätze für eine Salome-Deutung. Das Besondere dieser Aufführung in der Felsenreitschule ist, wie Romeo Castellucci – Regisseur, Ausstatter, Konzeptkünstler und in dem Fall vor allem auch Symbol- und Metaphern-Schmied – sich dieser Geschichte stellt, wie er den gespenstischen Weg einer seelischen Versteinerung einem steinernen Ambiente einschreibt. Nagelfluh für Bildungsprotzer. Für jene, die tiefer blicken: Castellucci hat die Arkaden verschwinden lassen, aber sie scheinen durch wie die Tinte von der Rückseite eines dünn gewordenen Blatt Pergaments. Ein solches Palimpsest ist Salomes Seele, die aufzuschlüsseln die fulminante Sopranistin Asmik Grigorian und Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker angetreten sind.
Denn so einprägsam die Szene ist: Zuerst muss man von der Musik und ihrer Gestaltung reden. Allen voran vom Orchester, das die „Salome“ in den betörendsten Farben drauf hat und das seinen fulminanten instrumentalen Charme auch in den dramatischsten Szenen, im zugespitzen Expressionismus, nicht einbüßt. Auch da: ein Palimpsest. Darüber, dass verführerischer Schein und unerfreuliches Sein dieser Bühnenfigur einander immer wahrnehmbar überlagern, waltet Franz Welser-Möst. Mit Ruhe und Übersicht führt er durchs mit antik-mythischer Unerbittlichkeit sich horrend gerierende Drama. Er kontrolliert die Affekte in jedem Augenblick, aber er verstärkt sie, indem er oft Effekte zurückhält oder zurück nimmt.
Das ist die Option für Asmik Grigorian (sie war vorigen Sommer die Marie im „Wozzeck“), die mit ihrem juvenil unverbrauchten Sopran gestalterisch auftrumpfen kann. Die naive Neugier auf den geheimnisvollen Gefangenen in der Zisterne, die umschlägt in psycho-getriebens Verlangen: Das macht diese Salome so glaubwürdig, dass man unmittelbar Mitleid und Verständnis empfindet für die Täterin, die zugleich Opfer ist
Und vollends die Schlussszene, diese schier unendlichen Momente der Ratlosigkeit einer jungen Frau. Sie sieht nun ihren Wunsch erfüllt, aber genau in dem Moment wird sie von ihrem Unterbewusstsein schmählich im Stich gelassen: Kokett drückt sie dem Torso des Jochanaan ihr Krönchen auf den Hals, setzt ihm einen Pferdekopf auf, setzt sich selbst dem Toten auf den Schoß. Diese gewaltigen Bilder, in nachdrücklich irritierendem Kontrast zur geradezu kindlichen Bühnenerscheinung dieser jungen Frau und einem Singen, dem jede Exaltiertheit fremd ist – das wird im Publikum (hoffentlich) lange nachwirken.
Ja wirklich: keine Silberschüssel, kein bärtiges Prophetenhaupt. Ein sitzender kopfloser Toter wird der Prinzessin offeriert. Der Pferdekopf ist schon vorher auf die Bühne geschleppt worden, wie mehrere Menschenleichen auch in einem Plastiksack. Es geht wohl grausam zu an Herodes' Hof. Ihn singt John Daszak, und auch das ist eine einprägsame Figur: Lüstling schon auch, aber vor allem: Schwächling. Hoffnungslos überfordert ist er nicht nur von seinem Weibervolk, auch von den miteinander keifenden Juden. Als Alphatier wird man den Tetrarchen schwerlich einstufen können, das macht Daszak mit souveränem stimmlichen Understatement greifbar. Eine dieser Salome gestalterisch ebenbürtige Leistung.
Mit akribischer Textgenauigkeit wird gesungen (auch in den vielen Nebenrollen). Anna Maria Chiuri ist die Herodias, die wenig Energie einsetzen muss, um ihren Gatten als Waschlappen da stehen zu lassen. Julian Prégardien ist der vom Orchester wie auf Händen getragene, lyrische Narraboth. Salome verspricht ihm – mit Worten – Blümchen und schöne Blicke, ihr Po-Schupfen spricht eine entschiedenere Sprache. Avery Amereau wertet die Rolle des Pagen weit auf.
Und Jochanaan: Gábor Brertz profitiert wie das gesamte Ensemble von der so sängerfreundlichen, durchsichtigen Orchesterbegleitung, braucht nie zu forcieren, kann auf vokales Dämonisieren verzichten. Für letzteres hat der Regisseur (der auch die Kostüme entworfen hat) gesorgt. Das Fellkostüm und das geschwärzte Gesicht erinnert fatal an Krampus-Kostümierung, und das meint Romeo Castellucci natürlich konkret-hintersinnig: Es ist nicht leicht, echte Propheten von Scharlatanen, in welcher Verkleidung auch immer, zu unterscheiden...
Womit wir bei der starken Bildsprache des Regisseurs wären, die das Premierenpublikum zwar spürbar fasziniert hat (nicht ein einziger Buhruf!) hat, aber auch greifbar in Verwirrung brachte. Castellucci baut auf der Ikonographie auf, auf christlichen und antiken Vorstellungen. „Te saxa loquuntur“, der Schriftzug vom Siegmundstor neben dem Festspielhaus, wird am Anfang auf einen Gazevorhang projiziert und verformt alsbald zu einem geöffneten Mund...
Es ist wohl so: Botschaften von lobesamen Steinen sind letztlich genau so schwierig (und oft mehr als zweideutig) zu dechiffrieren wie Worte von Propheten. Das weiß Castellucci, arbeitet mit virtuoser Sparsamkeit aber mit gleichsam zwingender szenischer Geste. Der fellbekleidete Jochanaan teilt seinen Kerker mit einem Rappen, was Salomes psychopathisches Erotikempfinden offensichtlich krass durcheinanderbringt. Sie wird sich kurz selbst einen Sattel umbinden.
Auch Kargheit kann bedrängen. Selbst bei ausgeblendeten Arkaden (oder genau deshalb) wirkt die Felsenreitschule diesmal wie eine Kammerspielbühne. Nur einer, der sich in der bildenden Kunst so auskennt wie Castellucci, geht mit Dimensionen und Proportionen so selbstverständlich um. Dem Symbolismus des Oscar Wilde und der Strauss'schen Emotion setzt dieser Theatermann präzises Maß entgegen und trifft sich gerade da mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst. Die kontrollierte Schnittmenge aus entfesselter und kontrollierter Emotion – das ist vermutlich das tiefere Geheimnis dieser grandiosen Aufführung.
(Ausverkaufte) Aufführungen bis 27. August - Fernsehübertragung am 11. August um 20.55 Uhr in 3sat - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz