Gefesselt vom Officium der Heiligen Woche
FESTSPIELE / JORDI SAVALL (2)
29/07/18 Geduldig musste man sein. Von 21 bis 23.30 Uhr. Jordi Savall, die Capella Reial de Catalunya mit dem hingebungsvollen Gamben-Ensemble Hespèrion XXI mit dem zweiten Teil des Offiziums für die Karwoche des Tomás Luis de Victoria.
Von Hans Gärtner
Maximal 18 Jahre jung war der Hüne direkt vor mir, am Samstag (27.7.) in der befremdend anregungsarmen Kollegienkirche. Wuschelkopf im Kurzarm-T-Shirt. Der junge Mann kommt, erstaunlich genug, ohne Textbuch aus. Man hätte es ihm, der sich ein Programmheft mutmaßlich nicht leisten kann, in Übertitelung bieten können. Er ließ, so darf man annehmen, die feierlichen Lamentationen des „Officio Hebdomadae Sanctae“ wohl ganz ohne das bis ins Letzte Verständliche in sich einfließen. Wie dies viele Umsitzende ähnlich taten, die Augen geschlossen, in aufrechter Haltung.
Allein der tiefe Ernst des im schneidenden Schöngesangs-Stil vorgebrachten schmerzlichen Kartage-Geschehens erforderte Verzicht auf Festival-Glitzer und -Eitelkeit. Der Glanz der life und ohne Verstärkung wahrgenommenen Vokalstimmen und Instrumentalklänge, den der Wunder-Werker der Alten Musik aus seinen Sängern und Streichern herausholte, nahm, Lectio für Lectio, Antiphon für Responsorium, gefangen. Einmal vorausgesetzt, dass sich der Zuhörer eines katholischen „Hintergrunds“ vergewissern konnte. Selbst der Jüngling vor mir rührt sich bald nicht mehr.
Jordi Savall fesselt auch Uneingeweihte durch die Feinsinnigkeit seines Stils ebenso wie durch den makellosen Aufweis höchster Vokal- und Instrumentalqualität seiner professionellen Akteure. Ob die langen katholischen Passions-Gesänge unbedingt der aphoristischen, unerwartet komplexen Begleittexte, ausgewählt von der Philosophin Maria Bartels, unprätentiös vorgetragen von Schauspieler Michael König, als Ergänzung bedurft hätten, bleibe dahingestellt. Eines ist unbestritten: erhellend wirken sie nicht.