asdf
 

Das Märchen von der „Zauberflöte“

FESTSPIELE / DIE ZAUBERFLÖTE

28/07/18 Zauberflöten-Premiere! Festlich gestimmt jubelte das Publikum. Die Regie fand geteiltes Echo, was heute ja fast der Normalzustand bei Premieren ist. In Summe ein durchwachsener, aber anregender Abend mit einem spannenden Konzept, an dem man das Team weiterarbeiten lassen sollte

Von Gottfried Franz Kasparek

Doch der zuletzt von Bravi übertönte Protest, der sich wohl vor allem gegen die Regisseurin Lydia Steier richtete, hatte seine Berechtigung. Was am Beginn nach einer originellen Familienaufstellung am Vorabend des Ersten Weltkriegs ausschaut, entpuppt sich über weite Strecken als seltsame Verweigerung, einfach Theater zu spielen. Denn aus der steifleinernen Familie löst sich nach einem nervösen Anfall der Mutter am Esstisch ein liebenswürdiger Großvater, der seinen drei Enkerln, den drei Knaben, die im ganzen Stück präsent sein werden, eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt – eben „Die Zauberflöte“.

Diese Erzählung ersetzt die meisten Sprechtexte des Librettos. Klaus Maria Brandauer entledigt sich seiner Aufgabe mit Würde und geht mit dem trockenen, witzlosen Text recht frei um. Ein paar Mal spielt er sogar wirklich mit, mischt sich in die Geschichte ein, da blitzt plötzlich großes Theater auf. Die Wiener Sängerknaben Jeong-min Lee, Matthew Helms und Philipp Rumberg sind mit Musikalität und Spielfreude dabei.

Die Schlange tritt nicht auf, sie speit nur Feuer durchs Fenster in das noble Kinderzimmer, in das sich Tamino flüchtet. Doch es bleibt nicht bei Zimmerschlachten.

Lydia Steier hatte etliche tolle konzeptuelle Einfälle, die von Bühnenbildnerin Katharina Schlipf, Kostümbildnerin Ursula Kudrna, Lichtkünstler Olaf Freese und den Videoleuten von „fettFilm“ unter Benützung der gesamten Theatertechnik des 21. Jahrhunderts oft zwingend umgesetzt werden. Die großbürgerliche Villa des Beginns macht meist einer skurrilen Landschaft von kastenartigen, grauen, aber luftigen Gitterkäfigen mit Anspielungen auf die Industrie Platz. Die Statisterie und der Chor bestehen nicht aus edlen Priestern, sondern aus phantasievollen Gestalten, aus Clowns und kuriosen Rotkreuzschwestern, grellen Masken und lebend Toten. Sarastro ist ein Zauberer im Smoking mit Zylinder, Tamino ein junger Offizier, Pamina eine dralle Puppe mit großen Augen, die Königin der Nacht eine strahlend weiße Rachegöttin, Papageno ein robuster Fleischhauer mit Spezialgebiet Geflügel. Monostatos und seine Schlägertruppe sind nur in ihrer Kleidung dunkel, sonst albinoartig weiß. Die drei Damen sind offenbar in den Weltkrieg verschlagene Amazonen in Militärkostümen.

Manches greift ans Herz in dieser oft schaurig schönen Bilderflut, obwohl die Regie die Riesenbühne nicht ganz bewältigt und sich manch Intimes verliert. Zum Höhepunkt wird die Feuer- und Wasserprobe mit über die riesige Leinwand hinter dem Gestänge jagenden grau-schwarzen Kriegsszenen. Die könnten auch heute in Syrien stattfinden. Und siegt am Ende die humane Botschaft? Siegt die Vision der Liebe? Der Revolutionär Monostatos wird kaltblütig erschossen, die Königin und ihre Damen trotzen den auf sie gerichteten Pistolen, die finale Lobpreisung von „Schönheit und Weisheit“ wirkt, auch musikalisch, sonderbar hysterisch. Dargeboten wird sie von abstrusen Krankenschwestern mit schwarzen Spitzhüten und Metzgern mit blutverschmierten Schürzen.

Im Orchestergraben sitzt eine recht kleine Abordnung der Wiener Philharmoniker und spielt mit konkurrenzlos elegantem Klang, dem Constantinos Carydis am Pult mitunter helle Schärfen, öfter aber wundersam atmende und gleichzeitig feinste, wie mit dem Silberstift kolorierte Wahrhaftigkeit entlockt. Carydis spannt weite emotionale Bögen und bevorzugt extrem langsame Tempi. Nur in den volkstümlichen Papageno-Nummern kommt spielerische Leichtigkeit auf. Und im Finale gehetzter Jubel.

Die Koordination mit der Bühne klappt im Großen und Ganzen. Warum im Orchester nicht nur ein Hammerklavier und eine Kleinorgel, sondern auch noch ein Cembalo stehen, wissen die gestrengen Götter des Originalklangs. Der Maestro selbst bedient das Glockenspiel und das hört man wenigstens.

Die Tastenistrumente zirpen manchmal leise in eine Musik hinein, die eigentlich schnurstracks Richtung Romantik unterwegs ist – was Carydis in seiner getragenen und gefühlsintensiven Lesart durchaus betont.

Übrigens hätte Mozart bei Ansicht des Großen Festspielhauses das Orchester mindestens verdoppelt. Sei’s drum, man spitzt sehr gerne die Ohren für diese eigenwillige, aber in sich stimmige und faszinierend subtile Interpretation.

Man spitzt auch gerne die Ohren, wenn Albina Shagimuratova die scharf gezackten Koloraturen der nächtlichen Königin als eine wahre „Madame Silberklang“ akkurat in den Raum setzt. Und wenn die durch ihre Puppenmaske jeglichen natürlichen Ausdrucks als Pamina-Darstellerin beraubte Christiane Karg ihre todestraurige Arie einfach aus herrlich seelenvollem Gesang entstehen lässt. In der Partnerschaft dieses Goldsoprans mit dem sphärisch begleitenden Dirigenten entstehen große Momente. Der lyrische Liedertenor Mauro Peter wirkt als Person wahrlich standhaft und singt seinen Tamino mit einer Noblesse, die tiefere Empfindung nicht immer zulässt.

Papageno Adam Plachetka darf die Lacher nicht auf seiner Seite haben, denn er ist durch die Erzählfassung seiner halben Rolle beraubt. Das ist jammerschade, denn er wäre ein dicklicher Vogelfleischhauer von komischer Wirkung. Und das Deutsch des tschechischen Sängers ist hervorragend, was man in den mit gemütvoller Inbrunst gesungenen Liedern und den wenigen ihm verbliebenen Textresten hört. Maria Nazarova als Papagena entsteigt einer vergreisten Papagena-Puppe und ist im Duett eine köstliche Partnerin, während die schwarzen Krankenschwestern mit Kinderwägen viele kleine Papagenas und Papagenos hin und her fahren. Da kommt fast kafkaesker Humor auf. Matthias Goerne hat als Sarastro nur bedeutsam herumzustehen, was ihn offensichtlich nicht besonders freut und sich leider auf „des Basses Grundgewalt“ schlägt.

Mit edlem Bassbariton und klarer Artikulation erfreut der Sprecher des Tareq Nazmi, der gleich auch den ersten Priester und Geharnischten singt, kompetent assistiert von Simon Bode. Ilse Eerens, Paula Murrihy und Geneviève King verkörpern couragiert und stimmlich nicht immer ganz homogen die drei Damen.

Michael Porter ist ein quicklebendiger armer Teufel von Monostatos mit leichtem Tenorino. Der von Ernst Raffelsberger bestens einstudierte Wiener Staatsopernchor singt und agiert mit bewundernswerter Flexibilität. Die Bühnenmusik samt Donnergrollen kommt vom Band, eingespielt von der „Angelika-Prokopp-Sommerakademie“ der Philharmoniker.

Insgesamt ein durchwachsener, aber sehr anregender Abend mit einem spannenden Konzept, an dem man das Team weiterarbeiten lassen sollte. Ein bisschen weniger Erzählung und mehr echtes Theater könnten eine zeitgemäß-zeitlose „Zauberflöte“ ergeben.

Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz

 

 

 

 

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014