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Feinsinniger Berserker

FESTSPIELE / HINTERHÄUSER

23/07/18 Markus Hinterhäuser als feinsinniger Berserker spielte im Nachkonzert am Samstag (22.7.) im Großen Saal des Mozarteums die sechs monumentalen Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja. Cluster-Bewegung, exzessive Eigendynamik, Ellbogen-Qualitäten im besten Sinn kultureller Dynamik und Glockenklänge. Ein großes Ereignis.

Von Erhard Petzel

Wiederholt verweist das ausführliche Programmheft auf den Umstand, dass Galina Ustwolskajas Verhältnis zu Rezensenten insofern getrübt war, als sie von den inhaltlich unerheblichen und unzutreffenden Zuordnungen nichts halte. Die Forderung, lieber nichts zu schreiben als Unsinn, trifft den Rezensenten naturgemäß ins Mark der eigenen Wesenheit, besonders wenn es sich um einen Abend ausschließlich mit dem Werk dieser Komponistin handelt. Doch klammert man sich auf diesem dünnen Eis an den Interpreten als Rettungsanker - trügt wohl auch eine solche Sicherung.

Markus Hinterhäuser genießt spürbar die Auseinandersetzung mit dem erratischen Wesen der Schöpferin eines wuchtigen und stilistisch sehr eigentümlichen Klavierwerks. Wenn zum Schluss trotz durchaus Applaus fordernden Finales zunächst etwas zu lange verblüfft-beklemmtes Schweigen herrscht, zeigt er das Selbstverständnis des über den Dingen stehenden Handwerkers mit einer kurz gegrunzten Silbe eines zu imaginierenden „No, jetzt derft’s aber“ - worauf ein großes Rauschen des solcherart Erlaubten aufbrandet: Zustimmung nicht nur für den schweißüberströmten, feinfühligen Berserker, sondern auch Ausdruck der Ästimation des Werkes und Rückmeldung zu dessen Wahl.

Die im Programmheft aufgenommenen Gedanken Ustwolskajas zum Schöpferischen sind vielleicht gerade für dieses Konzert ein ernst zu nehmender Hinweis, sich dem Werk sprachlich anzunähern und den Eindruck einer Aufführung zum Ausdruck zu bringen. Die 6 Klaviersonaten haben als absolute Musik für ein traditionelles Instrument keine weitere inhaltliche Konnotation, auch wenn sie in den Rahmen der Ouverture Spirituelle fallen (zugleich aber auch Teil des Zyklus „Zeit mit Ustwolskaja“ sind). Sie präsentieren sich als Werk mit spezifischem Personalstil und zeigen durch die Zeit Entwicklung diverser Parameter. Aus Sicht der Nachgeborenen hat auch die Frage des hinderlichen sozialistischen Umfelds der Sowjetdiktatur nicht das Hauptinteresse, sondern die Anstrengung einer Komponistin um die Herausbildung einer genuin eigenen Musiksprache.

Die ist für den heutigen Hörer so frisch und überzeugend wie bei allen Großen und hat sich in ihrer Modernität nicht abgegriffen. Die von ihrem Lehrer Schostakowitsch ästimierte Künstlerin arbeitet durchaus mit dem Anspruch klassischer Ausgewogenheit in der Balance zwischen oft brutalen Strukturen mit obsessiver Redundanz und Elementen lyrischer Versonnenheit, treibt modale Dialoge mit einzelnen Dissonanzen, dissonanten Akkorden und Clustern in Energiespiralen voran und kämpft um die Grenzen möglicher Ausdehnungen des Ereignispotentials ihrer Module. Die Form ihrer Stücke ist der inneren Logik und äußeren Belastbarkeit in der Entwicklung dieser Strukturen unterworfen und wird damit zum konzisen Körper der Fülle der Momente. Sicherheit und Gefühl für den zwingenden Zeitpunkt für Impulse und deren Modulation machen das Werk der Komponistin und die Umsetzung durch den Interpreten zur spannenden Gratwanderung am Massiv intellektueller Emotion und agitativer Interaktion.

Die Satzfolge schwankt zwischen 1 (Nr. 3 und 6) und 4, Nr. 5 wird zehnteilig angeführt. Entscheidender als diese formalen Eigenheiten ist vielleicht die Beharrlichkeit, mit der Bewegungen ihre metrische Vorgabe durchziehen. Die beiden späten Sonaten 5 (1986) und 6 (1988) kommunizieren miteinander wie aus einem Guss. Nr. 5 hängt seine musikalische Bewegung am Ton „Des“ auf, der in analogen Vorhalts- und Tongruppenstrukturen bis zur Clusterbreite verankert wird. Nr. 6 führt dann diese Cluster-Bewegung zur exzessiven Eigendynamik fort, sodass aus den Klang-Kaskaden Metamelodien irisieren. Hier zeigt Hinterhäuser Ellbogen-Qualitäten im besten Sinn kultureller Dynamik, während er in Nr. 4 sphärische Glockenklänge zaubert. Ein großes Ereignis.

Bild: SF/Neumayr/Leo

 

 

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