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Kirchenaustritt nach 587 Jahren?

FESTSPIELE / LA PASSION DE JEANNE D’ARC

22/07/18 Kirchenaustritt 587 Jahre nach Schauprozess und Todesurteil? Man hätte gute Lust dazu, nachdem man – via Stummfilm – erstmals Einblick die historischen Prozessakten im Verfahren gegen die Jungfrau von Orleans genommen hat: „La passion de Jeanne d’Arc von Carl Theodor Dryer aus 1928 ist ein avantgardistisches Meisterwerk. Unterlegt wurde der Streifen in der Kollegienkirche mit originaler Vokalmusik der Epoche.

Von Heidemarie Klabacher

Gesichter. Gesichter, meist in leinwandfüllender Nahaufnahme, selten auf Armlänge entfernt gefilmt: Das Gesicht der Schauspielerin Renée Falconetti und die Gesichter ihrer Richter – wie für die Mönche und Kleriker in „Der Name der Rose“ gecastet – sind auch schon das ganze Bildmaterial. Einige turbulente Volksszenen gegen Schluss, wenn der Scheiterhaufen schon brennt, lösen die sich über fast zwei Stunden aufbauende Spannung.

Der dänische Filmregisseur Carl Theodor Dryer, mit den Lebensdaten 1889 bis 1968 direkt in der Umbruchszeit vom Stumm- und Tonfilm tätig (und an diesem Umbruch letztlich auch scheiternd), war ein gnadenloser Realist: Die „Dialoge“ zwischen Jeanne und ihren Richtern sind Zitate aus den originalen Prozessakten. Einzelne Antworten von Jeanne auf die vielen Fangfragen sind als Untertitel in Stummfilm-Manier eingespielt, die Kleriker und Mönche kommen noch seltener zum geschriebenen Wort. Dennoch haben alle Darsteller bei den Aufnahmen die originalen Passagen gesprochen: Bei einfachen Sätzen oder einzelnen Worten kann man das erkennen. Des Lippen-Lesens Fähige könnten die Dialoge mitlesen… Gut, dieses in seiner Radikalität der Konzentration auf das menschliche Gesicht faszinierende Meisterwerk kennengelernt zu haben.

Das Überwältigende an der Aufführung im Rahmen der Ouverture spirituelle am Samstag (21.7.) in der Kollegienkirche war freilich die musikalische „Unterlegung“ durch das „Orlando Consort“ mit Musik aus dem 14. und frühen 15. Jahrhundert. Insgesamt 51 Musiknummern aus der Epoche der Johanna von Orleans seien ausgewählt worden, verrät das Programmbuch. Einzeln aufgelistet werden sie nicht. Die wenigsten Stücke stammen von bekannten Komponisten, wie etwa Guillaume Dufay. Vieles in dieser Literatur ist ohnehin anonym. Der aktive Kirchenmusiker erkannte da und dort Hymen, Antiphonen oder Messteile aus dem Gregorianischen Choral. Aber schon nach wenigen Filmminuten, ließ man Musikgesichte und Einordnung bleiben und sich in den Sog der Ereignisse ziehen.

Wenn zeitgenössische Komponisten Stummfilm-Musik zu schreiben versuchen, steht nicht selten die Musik im Film entgegen, ist entweder zu „schwach“ oder zu „stark“ für das historische Material; nimmt sich selbst oft zu wichtig oder gar noch wichtiger als den Film. Das „Orlando Consort“, das mit dieser Produktion heuer durch Europa und die USA tourt, verwendet ausschließlich Sakralmusik. Und Sakralmusik hat seit jeher dienende – der Liturgie dienende – Funktion. Und so stellt sich diese Musik auch klaglos in den Dienst des Films. Dass die jeweiligen Stücke der jeweiligen Stimmung im Film entsprechen, versteht sich.

Bewundernswert die Gesangsleistung des „Orlando Consort“, das diesen Marathon mit nicht nachlassender Eleganz und Leichtigkeit – bei absoluter Präzision in der Übereinstimmung mit kleinsten Gesten und Blicken im Film – absolviert.

Mehrmals wird Jeanne d’Arc von ihren Peinigern aufgefordert, das „Vater unser“ aufzusagen: Das Pater noster kommt im Film, einmal ganz zu Beginn, und im Vokalpart denn auch mehrmals vor.

Es ist der luxuriösen Salzburger (Hinterhäuser’schen) Dramaturgie zu danken, dass vor dem Film Galina Ustwolskajas Symphonie Nr. 5 „Amen“ für Sprecher, Oboe, Trompete, Tuba, Violine und Holzwürfe erklingen konnte, realisiert vom Klangforum Wien unter Ilan Volkov mit Evert Sooster als Sprecher. Er rezitierte über das gut fünfzehnminütige Stück hinweg machtvoll das russische „Vater unser“. Eine effektvolle Einstimmung auf den Film, ein stimmiger Auftakt zur Reihe „Zeit mit Ustwolskaja“, wenn auch die ihr zugemessene Spielzeit in diesem Fall nur gut 15 Minuten betrug.

Bilder: Stills aus La passion de Jeane d'Arc/Youtube  

 

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