Glücks genug
FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT GRINGOLTS
23/08/17 Vielleicht hat man die Paganini-Capricci an diesem Jahrhundert-Abend zum ersten Mal „wirklich“ gehört. Was man eher als artistisches Gefege und Gesäge, bestenfalls Zugaben tauglich, abgespeichert hat, ist tatsächlich ein Zyklus feinster Charakterstücke von größter Ausdruckskraft. Das war die geradezu beglückende Erkenntnis aus dem Solistenkonzert des Geigers Ilya Gringolts bei den Festspielen.
Von Heidemarie Klabacher
Gespielt hat der russische Virtuose alle 24 Capricci für Violine solo op 1. An dramaturgisch klug gewählten Stellen hat er sie interpunktiert mit den Sei Capricci, ebenfalls für Violine solo, von Salvatore Sciarrino.
Faszinierend war an diesem Abend die Werkdramaturgie nicht minder als die stupende mit Understatement und Zurückhaltung ausgespielte Virtuosität des Künstlers und die Schönheit und Tiefe der Einzelwerke. In ihnen kommt beinah die gesamte Musikgeschichte vor, vom barocken bis zum romantischen Gestus inklusive Jagd- und Hornquinten-Motivik - bei erstaunlich moderner „Abgründigkeit“ auch in den scheinbar rein virtuosen Mittelteilen vieler einzelner Paganini-Capricci.
Zwischen den beiden Zyklen von Paganini und Sciarrino liegen gut 150 Jahre Musikgeschichte, dennoch atmen die Werkfolgen den gleichen Geist: den Wunsch nach spielerischem Ausloten und Überschreiten der technischen und interpretatorischen Grenzen des Spiels auf der Violine und, weit darüber hinaus, den Wunsch nach Vermittlung von Emotionen in der der gesamten Bandbreite vom lieblichen Getändel bis zum Aufschrei in existentieller Not.
Dass Sciarrino – wie in seinen Werken für großes Orchester – auch im Solostück mit dem Pianissimo „spielt,“ verwundert nicht und wurde von Ilya Gringolts ebenso „spielerisch“ vermittelt. Dass es möglich war, nach anfänglicher Unruhe im Saal, in diesen „modernen“ Stücken auch den Passagen beinahe jenseits der Hörbarkeit zu folgen, war nur ein Zeichen für die steigende Spannung beim Publikum. Das allein erzählt von der Präsenz des Künstlers Ilya Gringolts und der Aussagestärke seiner Interpretation. Dass er auf die Miniaturen von Paganini jeweils ein zeitgenössisches Schwesternwerk in Duktus und Intensität folgen ließ, erzählt von einem Vermittlungsvermögen, das alle gut gemeinte „Musikvermittlung“ alt aussehen lässt. Man braucht nur Musik und einen Musiker – und eine Welt erschließt sich.
Die geigerischen Schwierigkeiten der Paganini-Capricci wird nur ein Geiger so richtig ermessen können. In der Lesart von Ilya Gringolts jedenfalls war von den handwerklichen Tücken einfach nichts zu hören, so elegant, wendig und erhellend war die Phrasierung, so blitzsauber die Intonation, so facettenreich der „Strich“: Da war einfach alles vorhanden, vom klaren strahlenden Gesang (bei Sciarrino im hellen Flageolett) bis zum dramatischen Aufbegehren. Vibrato? Sparsam und effektvoll. Große Kantilene? Zum Niederknien schön ausgespielt und nie sentimental. – Nicht einmal, wenn man bei Paganinis Nummer 11 darüber nachdenkt, welches berühmte „Ave Maria“ er da wohl verwendet hat. Bei Paganinis Nummer 14 denkt man dagegen an eines Jörg Widmann „Jagdquartett“ komprimiert für eine einzige Geige. Bei all dieser geigerischen Pracht nimmt Ilya Gringolts sich bescheiden zurück. Wo andere im Fortissimo auftrumpfen, schenkt er seinen beglückten Zuhörern feinste Schlusswendungen im pianissimo. Es gibt sie – die Konzerte die restlos glücklich machen.
Bild: Salzburger Festspiele /Marco Borelli