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Pure Musizierlust

FESTSPIELE / CAMERATA / ROGER NORRINGTON

22/08/17 Vor gut zehn Jahren ließ „Sir Roger“ die Camerata Salzburg hinter sich. Mittlerweile ist er deren Ehrendirigent. Am Montag (21.8.), im letzten Camarata-Konzert dieses Festspielsommers, war es, als wäre er nie weg gewesen. Es handelt sich nach wie vor um mehr als eine bloße Verbindung der Herzen.

Von Horst Reischenböck

Da übertrugen sich im Großen Saal des Mozarteums einmal mehr magische Schwingungen vom Podium, auf dem der über achtzzigjährige Sir Roger Norrington jovial auf Drehstuhl sitzend „thront“. Sie übertrugen sich nicht nur auf das ihm jeden Wunsch von den Augen ablesende Orchester, gleichermaßen auf die Zuhörer, die einem Wunder an gelöstem, aber in gleichem Maß bestimmt ausgefeiltem Musizieren lauschten.

Zwei Komponisten, die 150 Jahre voneinander trennen: Joseph Haydn und Igor Strawinsky. Werke beider hat die Camerata, die sich auch diesmal wieder in absoluter Bestform präsentierte, zusammen mit Norrington immer wieder in denkwürdigen Gestaltungen hören lassen. Gemeinsam haben sie den ganzen Zyklus von Haydns „Pariser Sinfonien“ verfilmt.

Diese Werkfolge wurde einst von Freimaurern für ihr Concert de la Loge olympique bestellt, Haydn wurde damit für damalige Verhältnisse fürstlich entlohnt: mit 60.000 Euro nach heutiger Währung, rechnen Historiker vor. Die letzte der sechs „Pariser Sinfonien“, jene in A-Dur Hob. I:87, wird eher selten programmiert. Warum nur? Entspricht sie doch der zeitgenössischen Schilderung im Mercure de France: „Ein jedes Mal erkennt man deutlicher und bewundert infolgedessen mehr die Production dieses gewaltigen Genius, der in allen seinen Stücken aus einem einzigen Thema solche reichhaltige und vielfältige Developpements zu ziehen versteht ...“ Diese „Developpements“ (Entwicklungen) büßen auch mit kleinerer Besetzung als bei der Uraufführung (vierzig Geigen und zehn Kontrabässe!) nichts an Wirkung ein. Dies nicht zuletzt deshalb, weil im Großen Saal des Mozarteums die exzellenten Holzbläser und Hornisten zu beiden Seiten der Streicher postiert waren und ihre inspirierenden Einlagen, etwa im Adagio, entsprechend Effekt machten.

Strawinskys „Danses concertantes“, in kleinerer Besetzung, kann man unterdessen auch auf einer CD in der Reihe „Festspiel-Dokumente“ nachhören, ein Live-Mitschnitt von 1998. Verspielt amüsant ist schon der seit der „Geschichte vom Soldaten“ für Strawinsky typisch schräg den Rhythmus wie eine Karikatur aufbrechende Marsch, in dessen Hintergründigkeit sich seine Inspiration mit Haydns Humor paart. Ebenso delikat ausgespielt vor dessen finaler Rückbesinnung die drei Tänze dazwischen. Das beschwingt und in allen solistischen Einwürfen virtuos ausgekostete Concerto in Es „Dumbarton Oaks“ erfuhr danach entsprechend seinem innewohnenden Konzept als Nachfahre im Geist eines Concerto grosso noch weitere „Ausdünnung“ auf ihrer nur mehr 14 Streicher, ohne deswegen an Gewicht verlieren.

Für die innere Affinität Norringtons Haydns Geist gegenüber sprach zuletzt Haydns berühmte D-Dur-Sinfonie Hob. I:101, die später den Beinamen „Die Uhr“ bekommen hat. Unter Norringtons unaufdringlich, doch immer wieder bestimmt eingreifenden Händen taten sich auch neue Einsichten auf, etwa wenn das namensgebende Pendel im Andante anders akzentuiert und weit flüssiger schlägt. Die brillant „verspielte“ Flötistin hat mit der am weitesten entfernt exponierten Solo-Fagottistin über alle Mitstreiter hinweg wunderbar korrespondiert. Typisch Norrington, wandte er sich nach diesem herrlichen Musizieren um zum Publikum. Das hat, so wie im angelsächsischen Raum üblich, schon zwischen den vier Sätzen spontan Zwischenapplaus gespendet.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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