Zu den Wurzeln zurück
FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT / MAURIZIO POLLINI
18/08/17 Im März 1960 gewann der 18jährige Maurizio Pollini als damals jüngster Teilnehmer den Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau. Der Vorsitzende Arthur Rubinstein sagte während des Finales zu den Kollegen im Gremium: „Der Knabe spielt besser als einer von uns Juroren.“
Von Horst Reischenböck
In der Vergangenheit machte es sich Pollini bei seinen Auftritten in Salzburg nicht immer leicht. Auch dem Publikum, das er bewusst nicht nur mit Werken der Wiener Schule sondern auch absolut zeitgenössischer Moderne konfrontierte. Diesmal – am Donnerstag (17. 8.) im Großen Festspielhaus – kam er den Ohren weitaus „kulinarischer“ entgegen, indem er die erste Hälfte seines Auftritts Frédéric Chopin widmete, mit dessen letzter Sonate Nr. 3 in h-Moll op. 58 im Brennpunkt. Zuvor im Angebot: das in zeitlicher Nähe entstandene Nocturne-Paar op. 55. Zart, zurückhaltend begab er sich in die schlichte Serenade des ersten dieser beiden „Nachtstücke“ in f-Moll und steigerte dann im unmittelbaren Anschluss daran ihr Es-Dur-Pendant zu glanzvoller Wirkung.
Vom gedanklichen Konzept her absolut plausibel, entschlüsselte Pollini in der Sonate Nocturne-Anklänge dann klar sowohl im Seitenthema des Kopfsatzes wie auch im lyrischen Largo der Sonate. Mit bestimmendem Ansatz stieg er in den stolzen Beginn des eröffnenden Allegro maestoso, huschte dann flink-fingrig durchs nachfolgende Scherzo und steigerte mit vehement virtuosem Ansatz das abschließend rhythmisch wogende Rondo in kraftvollen Triumph hinein.
Diesem singulären Werk hatte Pollini auch noch zusätzlich Chopins alleinige Barcarolle in Fis-Dur op. 60 vorangestellt, mit ihren flimmernden Tönen wie eine Vorwegnahme ähnlicher Stimmungen von Chopins Bewunderer Claude Debussy. Das war also gewissermaßen die Brücke zum zweiten Teil des Abends, die er dem Deuxième Livre von dessen Préludes widmete. Dem vollen Dutzend dieser Miniaturen, in denen eigentlich kaum illustrierender Impressionismus vorherrscht. Statt dessen klar distanziertes, intellektuell strukturiertes Kalkül, das dank Pollini, so präzise ausgehorcht, genauso spontan wirkte. Auch leidenschaftlich, wenn er in der Habanera „La puerta del Vino“ eingeimpft spanisches Kolorit beschwor. Schließlich stellte ja Debussy seine Titel hintan, um abseits vorgegebener Assoziationen eigenen Gedanken Raum zu bieten.
Pollini auf Spurensuche nach der geforderten „clarté“, nach Debussys Klangschichten. So war es ein Leichtes, sich den Arpeggien der „Brouillards“ zu ergeben. Oder der Melancholie auch ohne Kenntnis „welker Blätter“, genauso wie dem traurigen Ernst der „Canope“. Kontraste bot Pollini im durchsichtig exekutierten Scherzo der tanzenden Feen mit Zitat von Carl Maria von Webers „Oberon“ oder dem spontan animierenden Cake-Walk „General Lavine“. Nebst der verfremdeten britischen Hymne zur „Hommage à S. Pickwick“ Beleg für Debussys Humor. Dies war ein Gegenstück zu den Marseillaise-Fragmenten, die Pollini brillant in die Kaskaden des Feuerwerks zum Schluss des ganzen Zyklus aus den Tasten zündete. Alles im Vollbesitz pianistischen Könnens und aus einem Guss als perfekte Mischung von Nachsinnen und Spontanität.