Tanz auf dem Klangvulkan
FESTSPIELE / GRISEY / ANNA TERESA DE KEERSMAEKER
15/08/17 Nun ist die „Zeit mit Grisey“ bei den Festspielen bald um. Im vorletzten Beitrag der Reihe traf am Montag (14.8.) moderner Tanz auf moderne Musik. Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker und ihre Gruppe Rosas interpretierten gemeinsam mit dem Ictus Ensemble „Vortex Temporum“ und ließen dessen Spektralmusik nicht nur akustisch schillern.
Von Christoph Pichler
Auf die Tänzer musste der Zuschauer im republic aber erst einmal warten. Denn das Konzert begann klassisch und ohne Schnickschnack: Aufmarsch der Musiker zum Auftrittsapplaus, Platz nehmen im Halbkreis aus Stühlen, durchatmen und rein in die tiefe Materie, die vor allem aus einem Maurice Ravels „Daphnis et Chloé“ entnommenen Arpeggio-Fragment besteht. Dieses flirrt zu Beginn in Sechzehntelnoten aus Klavier, Flöte und Klarinette, während sich die drei Streicher erst nur mit wilden Akzenten und grundierenden Einzeltönen einmischen. Die Intensität ist dabei so hoch, dass es die Musiker bei ihren Einsätzen fast von den Stühlen reißt. Und sie nimmt beständig zu. Erst im Mittelteil kommt die Melodie etwas zur Ruhe, verliert dabei an Tempo, aber nicht an Intensität und verteilt sich breitflächiger über die Instrumente.
Ein ausgedehntes Klaviersolo von Jean-Luc Plouvier, in dem er die Tasten wild beackert und die absichtlich verstimmten Töne seines Instruments deutlich hör- und spürbar macht, beendet den rein instrumentalen ersten Teil. Nun übernehmen die Tänzer die Bühne und stellen ganz ohne musikalischen Taktgeber ihre Bewegungsmuster vor, die sie aus dem Studium der Partitur und der individuellen Instrumentenbehandlung entwickelt haben. Wie eng die Beziehung zwischen dem Tänzer und dem ihm zugeteilten Instrumentalisten ist, zeigt sich im folgenden Duett des Pianisten und seines Alter Ego, in dem sogar ein kurzer Rollentausch stattfindet und der aufdringliche Amateur mit Verve in die Tasten greift.
Nun sind die beiden Gruppen endlich vereint und wandern gemeinsam durch den finsterer gewordenen Klangwald. Selbst das Klavier steht nicht mehr still, sondern zieht verfolgt vom Pianisten seine Kreise über die mit sich schneidenden Kreislinien überzogene Bühne. Irgendwann hat sich das Ensemble so am Bühnenhintergrund versammelt und überlässt für das Finale die gesamte Tanzfläche ihren Bewegungsdoubles. Die nutzen den gewonnenen Raum, um noch intensiver auf die musikalischen Beschleunigungsimpulse einzugehen, die mittlerweile Dirigent Georges-Elie Octors zu geben scheint. Ihm gehören auch die letzten stummen Akzente der Aufführung: Während die Klänge der Musiker bereits im Unhörbaren verschollen sind, gibt er noch mit seinen Fingern Zeichen, bis auch der letzte Rest Licht verloschen ist.
Anne Teresa de Keersmaeker hat sich mit Gérard Griseys Schlüsselwerk spürbar intensiv auseinandergesetzt. Dass sie dessen Spiel mit der Zeit sehr ernst nimmt, zeigt sich schon im Aufbau des Stücks, der die beiden harmonierenden Gruppen zunächst einmal in getrennten Zeitebenen auftreten lässt. Richtig aufregend wird es aber erst, wenn Musik und Tanz aufeinandertreffen. Keine der Parteien drängt sich unangenehm in der Vordergrund, stattdessen ergänzen und bereichern sie einander. Während die Musik des Ictus Ensembles wie ein brodelnder Vulkan mal wild Feuer spuckt und dann wieder fast still vor sich hin köchelt, tanzen, hüpfen und laufen die Performer wie um ihr Leben. Vom Festspielpublikum wurde der spannende Dialog von moderner Klang- und Bewegungssprache mit Begeisterung aufgenommen.