Eingetaucht in vier Klangbäder
FESTSPIELE / RSO WIEN / CORNELIUS MEISTER
13/08/17 „Klangzauberer von Rang“, so verriet das Programmheft, „sind Richard Wagner, Richard Strauss, Giacinto Scelsi und Claude Vivier gleichermaßen, sie unterscheiden sich dabei aber doch tiefgreifend voneinander.“
Von Reinhard Kriechbaum
Wer hätte das gedacht? Die Unterschiede sind jedenfalls so groß, dass die Ohren diese am Samstag (12.8.) in der Felsenreitschule nicht so ohne weiteres akzeptieren wollten. Anders gesagt: Das RSO Wien unter Cornelius Meister ließ ein ziemlich abenteuerliches Pasticcio-Programm hören, in dem sich letztlich nicht erschlossen hat, was die Nachbarschaft eines jeden der Werke mit den jeweils drei anderen wirklich nahe legte. Eher hat man das Gefühl gehabt, einer öffentlichen Produktionsaufnahme des ORF beizuwohnen. Jedes Stück für sich genommen: Eh sehr ok.
Vorspiel und Isoldes Liebestod und Strauss' „Tod und Verklärung“. Das geht schon einigermaßen, aber vermutlich hätte der junge Strauss 1890 ohne den ein gutes Vierteljahrhundert zuvor erfundenen Tristan-Akkord auch nicht viel anders komponiert. Cornelius Meister hat beide Werke strukturell klar und durchhörbar spielen und die Bläser des RSO haben es nicht an Wärme und Disziplin fehlen lassen. Aber die letzte Emphase kam weder da noch dort heraus. Die Deutung von Mahlers Erster Symphonie durch Teodor Currentzis und seine musicAeterna (zwei Tage zuvor am selben Ort) frisch im Ohr: Da merkt man schon die Unterschiede zwischen extraordinär und ziemlich gut...
Problematischer war die Kombination jener beiden Werke, die das Konzert auch für den Festspiel-Binnenzyklus „Zeit mit Grisey“ tauglich machten. Für Grisey war diesmal keine Zeit aufzubringen, dafür umso mehr für den eigenwilligen Claude Vivier (1948-1938), für sein pastos ausgemaltes Stück „Siddharta“. Es verlangt acht Orchestergruppen, in jeder sitzt ein jeweils markant sich hören lassender Schlagzeuger. Vivier war keiner, der sich auch nur einen Deut um Stilfragen oder gar dogmatische Einengung geschert hätte. Er rührte Farben mit äußerster Großzügigkeit an und langte auch vollgriffig in die Melodie- und Instrumentations-Töpfe der Spätromantik. Im Detail steckt viel Raffinement in diesem Stück, das mit glockenschlagartigen Klanggebilden beginnt, die sich quasi unter dem Anschlagen auflösen in Oberton-Flächen und Klang-Fasern. Das Wesen dieser Musik ist, dass sie in der Sekunde absolut griffig wirkt und sich dem Hörenden doch flugs entwindet, also ungreifbar wird. Die kernigen Romantizismen lösen sich auf, verduften, verdunsten, die Klanggebilde kippen von einer Orchester- oder Instrumentengruppe in die andere. Nicht die große Richtung ist in dieser Musik entscheidend, eher die Kräuselungen, Spiegelungen und Metamorphosen im Kleinen.
Ob Cornelius Meister das nicht insgesamt zu schmeichlerisch, zu süffig angegangen ist, bleibt die Frage. Jedenfalls hat man den Gedanken an Monsterkitsch nicht ganz beiseite schieben können – und solche Partnerschaft wiederum hat Giacinto Scelsi (1905-1988) absolut nicht verdient. Sein „Hymnos“ für Orgel und zwei Orchester bietet hoch komplexe Klangarchitekturen über eigentlich ganz wenige Töne. Diese sind ziemlich wuchtig über die Rampe gekommen und haben die Orgel akustisch glatt weggeschoben. Von der neunten Reihe seitwärts zumindest hat man Robert Kovács nur spielen gesehen und nicht in Ansätzen spielen gehört. Vielleicht wäre es nicht die schlechteste Idee, sich das vermutlich lohnende Stück im Radio nochmal anzuhören. Ein guter Tonmeister könnte der Balance nachgeholfen haben.